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Alter Hase und junge Wilde

■ Ein echter Parlamentarier: Nach 30 Jahren verläßt Günter Pede die Bürgerschaft

Also, die wollten ja, daß er noch ein Jährchen dranhängt. „Nee, es war schon eine gute Zeit. Aber jetzt will ich mich um meine Datsche und meine Viecher kümmern“, sagt Günter Pede. Und lacht. Gekümmert hat er sich 30 lange Jahre um ganz andere Tiere, hohe nämlich. 30 Jahre ist Pede in der Bürgerschaft ein- und ausgegangen. Nicht als Abgeordneter, die hat er kommen und gehen sehen. Als einer, der schnell und zuverlässig Anträge vervielfältigt und verteilt, immer ansprechbar, immer freundlich, immer einen Schnack, immer diskret. Und immer dann, wenn unsereins während einer Plenarsitzung einen Abgeordneten oder eine SenatorIn ganz ganz dringend sprechen mußte – Pede fand sie alle. Mit dem Jahreswechsel verliert die Bürgerschaft ihre gute Seele.

1966, da teilten sich Bürgerschaft und Senat noch das Rathaus. Das neue Parlamentsgebäude war fast fertig. Und weil das neue Haus so offen war, brauchte es Aufpasser. Pede kam zum Wachdienst. „Schließlich war ich Ringer beim Polizei-Sportverein.“ Und von Anfang an versorgte er die Abgeordneten mit Papier und die JournalistInnen mit Abgeordneten. Aber damals, „da war das ja längst noch nicht so locker.“ Hagedorn war Präsident. „Sehr vornehm. Für mich war das sowieso eine fremde Welt. Senatoren, Präsidenten – da hab ich fast stramm gestanden.“ Beim Versorgungsamt, wo er Akten durch die Gegend getragen hatte, hatte er solche nicht kennengelernt. Grinst. „Sind aber auch nur Menschen, hab ich schnell gemerkt.“

Sowieso ein Wunder, daß er es bis dahin geschafft hatte. Eine abenteuerliche Jugend: Mit elf aus Ostpreußen nach Rußland verschleppt, die Familie auseinandergerissen, Lager, ausgebüxt nach Litauen, illegal bei Bauern geschuftet, Fluchtversuch mit knapp 16, an der polnischen Grenze als angeblicher Spion geschnappt, Knast, Lager, Kolchose, entlassen in die DDR, wieder Flucht und ein abenteuerlicher Grenzübertritt. „Russisch perfekt, aber ich konnte fast kein Deutsch mehr. Ich habe alles gelesen, was ich in die Finger bekommen habe.“ Dann Bergmann, krank, Schule nachgeholt mit 20, todkrank, „die hatten mich schon aufgegeben. Aber ich war ein wilder Bursche“, irgendwann Bremen, immer zäh dabei, das versäumte Schulwissen aufzuholen – und dann die Bürgerschaft.

Der wilde Bursche in Uniform, alles ziemlich formell. „Turbulent und lustiger wurde es erst, als die Grünen kamen.“ Da hat Olaf Dinné schon mal dem Präsidenten einen Teller mit einem vergammelten Fisch aufs Pult gestellt. „Da wurde ich erst gar nicht mit fertig. Das war doch ein eher konservatives Haus.“ Aber auch die hatte Pede dann doch ziemlich schnell in sein Herz geschlossen. „Waren ja nur so wenige, die hatten ja nix.“

Aber sowieso: Bevorzugungen gab es bei Pede nicht, genausowenig wie Benachteiligungen. „Die haben mich alle mal gefragt, ob ich nicht Mitglied bei ihnen werden will. Aber nee“, da wollte er lieber unabhängig bleiben. Und vertrauenswürdig. Schließlich bekam er immer mal wieder ein Schriftstück in die Hand oder ein Telefonat in die Leitung, von denen selbst die eigenen Fraktionsmitglieder nichts wissen durften. Sie haben sich auf ihn verlassen. Konnten sie auch, selbst in den schwersten Stunden eines ParlamentarierInnenlebens. „Ich hab nach dem Parlamentarischen Abend (jährliche Abschlußfete in der Bürgerschaft, d.Red.) schon das eine oder andere Mal einen vom Klo geholt, der da im Wasser gelegen hat und sich nicht mehr rühren konnte.“ Ach, wie gerne wüßten wir mehr – Pede guckt. Nur so, nicht zum Veröffentlichen – Pede lacht. Nix rauszukriegen. Der Mann ist diskret.

Und so haben sich über die Jahre richtige kleine Freundschaften entwickelt. Mit Evi Lemke zum Beispiel. Oder damals, „als die jungen Wilden, der Wedemeier, der Fluß und der Meier in die Bürgerschaft kamen.“ Da war Fußball-Europameisterschaft, 1972, und die Jung-sozis wollten unbedingt gucken, obwohl doch Sitzung war. Also schleppte Pede einen kleinen Fernseher in den JournalistInnen-Raum der Bürgerschaft. Halligalli, bis Bürgerschaftsdirektor Bibusch die Angelegenheit spitzkriegte. „Der hat mich satt gemacht und uns sofort den Fernseher abgenommen.“

Irgendwie war die Zeit dann doch lustiger als heute. „Wir sind damals schon mal nach den Sitzungen noch durch die Kneipen gezogen. Der Neumann war dabei und der Lahmann und der Kähler, ach, alle. Nun ja, das gibt es schon lange nicht mehr.“ Aber „ich will mich nicht beklagen. Ich habe eine schöne Zeit hier gehabt.“ Heute wird er verabschiedet und hat Bammel. „Ich weiß ja, wie die vor ihrer Jungfernrede hier auf- und abwandern.“ Abschiedsworte gibt's vom Bürgerschaftspräsidenten Reinhard Metz. Pede: „Ein ganz toller Mensch. Zu dem kann man immer kommen.“ Dann wirds wohl auch eine Liebeserklärung. Verdient hat ers. J.G.

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