: Stur weinrot immer nur bergab
Was schlußendlich bleibt, ist der bittere Geschmack von Provinzposse: In „Die Legende vom Club“ wird Nürnberger Vereinshistorie zur Leidensgeschichte ■ Von Thomas Winkler
Der Titel verspricht „Die Legende vom Club“, doch was Christoph Bausenwein, Harald Kaiser und taz-Korrespondent Bernd Siegler da geschrieben haben, gleicht vielmehr einer an Masochismus grenzenden Leidensgeschichte. Passender könnte es kaum sein, verbindet gerade dieses Leiden die Autoren ja auch mit dem Anhang des 1. FC Nürnberg, der auch in der Regionalliga immer noch in Scharen strömt.
Doch die Geschichte, und damit auch dieses Buch, beginnt anders, nämlich in einem Wirtshaus mit Namen „Zur Burenhütte“, in dem im Mai 1900 der 1. FCN gegründet wurde. Daß der Verein eigentlich 3. FCN hätte heißen müssen, wußte niemand. Die beiden Vorgänger waren längst eingegangen. Fortan ziehen Männer in kurzen Hosen und mit Kaiser-Wilhelm- Schnurrbart auf der Hatz nach dem Ball vorbei, tapfere Recken, die meist mehr saufen als trainieren.
Mit eben dieser Methode brachte es der legendäre Kneipenpächter Heiner Stuhlfauth zum vielleicht besten Torsteher aller Zeiten. Der Name Stuhlfauth ist wiederum untrennbar verknüpft mit den glorreichen 20er Jahren, als der Club mit seinen todsterbenssicheren Flachpässen die Gegner so erfolgreich müde spielte, daß es zu fünf deutschen Meisterschaften reichte. Damals hatte auch die Rivalität zur SpVgg Fürth ihre größte Zeit. Das ist bis heute das Ähnlichste, was der deutsche Fußball in Sachen Celtics–Rangers zu bieten hat. Diese Feindschaft brachte dem Club in den 20ern den „flinken Rechtsaußen“ Hans Sutor ein, weil sie den im Ronhof nicht mehr haben wollten, als er eine Nürnbergerin ehelichte. Die bitteren Ortskämpfe hielten die beiden Klubs aber nicht davon ab, teilweise allein die Nationalmannschaft zu bilden.
Die Zeiten änderten sich, vier weitere Meisterschaften folgten, aber der Verein blieb Verein in Nürnberg. Dank der genetisch bedingten Skepsis der stoischen Franken überstand man die Nazizeit ebenso wie Max Merkel und den Ausverkauf des jungen 84/85er-Teams, das völlig überraschend den Bundesliga-Wiederaufstieg und 87/88 sogar einen UEFA-Cup-Platz schaffte.
Eigentlich hat der Club den Umbau zum Unternehmen nie geschafft, statt dessen ging es seit den 20ern immer nur bergab, und die Geschichte wird zum akribisch nachverfolgten Niedergang eines ruhmreichen Vereins. Die Suche nach Erklärungen bleibt natürlich weitgehend erfolglos. Sie mündet aber immerhin in eines der schönsten Kapitel, das den fränkischen Charakter zum Thema hat und der Frage nachgeht, was der bitte schön mit dem Fußball zu tun haben soll. Fazit: „In seiner Abneigung gegen alles Neue kann der Nürnberger eine erstaunliche Sturheit an den Tag legen.“
Weswegen natürlich auch nur in weinroten Trikots gewonnen werden kann, die übrigens entstanden, weil in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg Seife knapp war und Weinrot nicht so oft gewaschen werden mußte.
Doch solche Momente sind eher selten, in denen der Verein zum Spiegel der Gesellschaft wird und Club-Geschichte zur Zeitgeschichte. Die Autoren haben haufenweise Material ausgegraben, aber verlieren sich allzuoft im Aufzählen von Ergebnissen und Torschützen. Erst im zweiten Teil, „Rund um den Club“ geheißen, bleibt Zeit, atmet das Buch dann doch jenseits der vielen Fakten, werden die Wörter zu Gesichtern, zu Menschen. Das passiert in der taz-LeserInnen bereits bekannten Geschichte des Rentnerehepaars Scheidel, deren gemeinsames Leben sich seit fast 30 Jahren um den Club dreht. Oder beim obligatorischen, von Neid geschwängerten und hochsympathischen Seitenhieb auf die bösen Münchner Bayern: Drei Seiten füllen die schiedsrichterlichen Fehlentscheidungen, die es in den bayerischen Derbys gab.
Doch was schlußendlich bleibt, vor allem nach der langen Liste mit Skandalen, ist der bittere Geschmack von Provinzposse. Der ARO-Teppichladenkette hat Eckhard Henscheid ein literarisches Denkmal gesetzt: Ein Zitat von dessen Besitzer, dem Ex- und Nun- wieder-Präsidenten Michael A. Roth, illustriert trefflich, wie sich noch heute beim 1. FCN Provinzialität und Großmannssucht vermählen: „Der Club ist etwas Geheimnisvolles. So wie der Schatz im Silbersee.“
Wenn man es recht überlegt, erinnerte einen das Führungspersonal des Clubs über die Jahre nicht nur von seiner Statur, sondern auch in seiner Realitätsferne immer eher an Karl May als an moderne Manager.
Christoph Bausenwein, Harald Kaiser, Bernd Siegler: „Die Legende vom Club“. Verlag Die Werkstatt, Göttingen, 384 Seiten, 39,80 DM
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