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■ Die Guerilla-Bewegungen Perus galten als zerschlagen - bis gestern. Die spektakuläre Geiselnahme der Tupac Amaru bedeutet eine Demütigung für Präsident Fujimori - und könnte Bewegung in die desolate politische Landschaft bringenDie Ertri

Die Guerilla-Bewegungen Perus galten als zerschlagen – bis gestern. Die spektakuläre Geiselnahme der Tupac Amaru bedeutet eine Demütigung für Präsident Fujimori – und könnte Bewegung in die desolate politische Landschaft bringen

Die Ertrinkenden schlagen noch mal zu

„Der Terrorismus in Peru ist wie ein Ertrinkender, der gerade noch einmal ein bißchen um sich schlägt“, hatte Perus Präsident Alberto Fujimori stets verkündet. Mit der Verhaftung des Führers des „Leuchtenden Pfads, Abimael Guzmán, und der wichtigsten Kader beider großer Guerilla-Gruppen, des Leuchtenden Pfads und der „Revolutionären Bewegung Tupac Amaru“ (MRTA), schien ihm in der ersten Hälfte der neunziger Jahre der Durchbruch gelungen. Der Ertrinkende schlägt kräftig um sich – und recht zielsicher. Ausgerechnet die Residenz des japanischen Botschafters mußte es sein, die sich das als Party-Service getarnte Kommando der MRTA am Dienstag abend aussuchte, um eine Reihe von Ministern und etliche internationale Diplomaten in ihre Gewalt zu bringen. Der japanischstämmige Präsident wird über diesen gelungenen Einfall kaum lachen können.

Es war zwanzig Minuten nach acht, als im Garten der Botschafter-Residenz, wo rund 250 geladene Gäste auf Einladung des japanischen Botschafters Morihisa Aoki den Geburtstag des japanischen Kaisers Akihito feierten, „eine schrecklich laute Explosion“ hochging, wie die später freigelassene Alfonisina Barrionuevo zu berichten weiß. Und plötzlich sei der Party-Service vermummt gewesen und hätte gerufen. „Köpfe unten halten, sonst wird geschossen!“ Die MRTA hatte das Gebäude im Handstreich unter Kontrolle und damit die Botschafter zahlreicher lateinamerikanischer Länder sowie von Deutschland, Österreich, Japan, Brasilien, Kanada, Griechenland und Spanien ebenso als Geiseln wie den peruanischen Außenminister Francisco Tudela. Daß ausgerechnet die Mutter des Präsidenten, die 80jährige Matsue Inomoto, mit der ersten Gruppe von Frauen und älteren Gästen freigelassen wurde, dürfte eine spätere Manöverkritik des MRTA-Kommandos wohl als übelste Schlampigkeit rügen.

Per Telefon und in einem Telefongespräch mit einer Radiostation gaben die Geiselnehmer ihre Forderungen bekannt: „Wir fordern die Freilassung all unserer Kameraden, die in den Kerkern verschiedener Gefängnisse mißhandelt und gefoltert werden“, selbstverständlich einschließlich des Guerilla-Chefs Victor Polay Ocampo. Der war im Mai 1992 zusammen mit seinem Stellvertreter Peter Cardenas erneut festgenommen worden, nachdem er seine erste Inhaftierung im Juli 1990 gemeinsam mit 47 anderen Tupac- Amaru-Gefangenen durch einen spektakulären Ausbruch aus dem Hochsicherheitsgefängnis von Lima beendet hatte: Fast drei Jahre hatten die Inhaftierten an einem 320 Meter langen Tunnel gegraben, der sie schließlich in die Freiheit brachte.

Von den bekannten Führungskadern der MRTA befindet sich derzeit nur noch einer in Freiheit: Nestor Cerpa Cartolini. Ob er sich aber überhaupt in Peru aufhält, ist unklar – mal wird er auch in Chile oder in Bolivien vermutet. So ist ebenfalls unbekannt, ob der Führer des Kommandos in der japanischen Botschaft, der sich als „Comandante Mejia Huerta“ vorstellte, überhaupt einer von den bekannten MRTA-Kadern ist oder ob es die Guerilla vermocht hat, in den letzten Jahren gänzlich klandestin neue Gruppen aufzubauen.

Angesichts des allgemeinen Erstaunens über die Wiederauferstehung der MRTA wird gar spekuliert, ob es nicht auch andere Interessengruppen sein könnten, die hinter der Aktion stecken. Immerhin hat die Logistik des Kommandos offenbar gestimmt, und ganz ohne Hilfe von berufener Seite ist es nicht so einfach, einen solchen Coup vorzubereiten. Präsident Fujimori sitzt hegemonial genug im Präsidentensessel – und bereitet durch eigenwillige Verfassungsinterpretationen gerade seine eigentlich nicht zulässige dritte Amtszeit vor –, um den einen oder anderen politischen Gegner nach besonderen Maßnahmen suchen zu lassen, um die Macht des Präsidenten ein wenig anzugreifen.

Die großen Hoffnungen, die ein großer Teil der Bevölkerung 1990 mit dem Kandidaten Fujimori verband, als er mit seiner neugegründeten politischen Bewegung „Cambio 90“ (Veränderung 90) die Wahlen gegen den konservativen Schriftsteller und Apologeten des Neoliberalismus, Mario Vargas Llosa, gewann, sind ohnehin verflogen. Das Parlament, das allgemein als korrupter Haufen angesehen worden war, ist aufgelöst, die Guerilla-Bewegungen galten bis gestern als zerschlagen – die politische Verantwortung für die ökonomische und soziale Misere Perus lag ganz allein beim Präsidenten, ohne Ausrede. Bloß war bislang niemand in der Lage, eine konsistente Alternative zu formieren, die bei Wahlen auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte. Die Demütigung, die diese Geiselnahme für Fujimori darstellt, könnte Bewegung in die politische Landschaft bringen. Bernd Pickert

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