piwik no script img

CIA? KGB? Gar AOK?

■ "Extrem" - ein Ethikthriller aus dem Krankenhaus mit Hugh Grant als Arzt

Zwei verwirrte Männer flüchten nackt aus einem schmutzigen New Yorker Hinterhof. Sie klettern über Stracheldrahtzäune, zur notdürftigen Bekleidung greifen sie sich Mülltüten, verstecken sich vor einem Auto. Wie in einem Alptraum sind sie betäubt, fast gehunfähig, in höchster Panik.

Der eine verschwindet, der andere landet in einer Krankenhaus- Notaufnahme. Die wirkt, jedenfalls auf (noch) krankenkassenverwöhnte Europäer, wie eine improvisierte Autoreparaturwerkstatt. Dummerweise werden im gleichen Moment zwei Schwerverletzte eingeliefert. Der eine ist Polizist, den anderen hält der Praktikumsarzt Guy Luthan (Hugh Grant) zunächst für einen Junkie – allerdings mit eigenartigen Symptomen.

AiP Luthan ist, was man in der Schwarzwaldklinik einen engagierten jungen Arzt nennen würde. Nicht korrupt, ein netter Kerl, der atemlos von Patient zu Patient hastet, um Leben zu retten. Ohne Ansehen der Person. Deshalb will er den Polizisten, der leichter verletzt ist als der mutmaßliche Junkie, auch zunächst warten lassen. Aber im OP ist nur Platz für einen. „Also, welchen nehmen Sie nun?“ fragt ihn ein Kollege des Cops. „Doch wohl nicht den Junkie!?“ Unter Druck entscheidet der Doc für den Cop. Der andere Patient stirbt nach weiteren hektischen Rettungsversuchen.

Damit hat sich der Arzt moralisch die Finger schmutzig gemacht. Wie um sich dafür selbst zu bestrafen, gerät Luthan (Grant schafft es, den Arzt nicht nur als everybody's Milchbubi zu charakterisieren) in den Sog eines Verbrechers, der sich für einen der größten Menschheitsretter hält. Heihei: Hitler, Mengele, Menschenversuche – „Extreme Behandlungsmethoden“, wie der Film korrekt übersetzt hieße, gleich Sonderbehandlung? Ganz so dicke kommt's nicht, aber Regisseur Apted ist durchaus nicht abgeneigt, seinen Thriller zur Diskussion einer ziemlich drängenden Gegenwarts-Moralfrage zu benutzen: How much is life? Was kostet ein Menschenleben, und vor allem: Kosten alle Menschenleben gleich viel? Bin ich wertvoller als du?

Der Gegenspieler unseres Nachwuchsarztes ist Gene Hackmann alias Dr. Lawrence Myrick. Der hat obige Fragen für sich klar beantwortet und daraufhin ein riesiges unterirdisches Geheimforschungsprogramm anlaufen lassen. Obdachlose gibt's in New York genug, die sich für Geld ein paar medizinischen Tests unterziehen. Myrick ist nur etwas radikaler als die Pharmafirmen, will Apted uns wohl sagen.

Er setzt voll auf Kostensenkung im Gesundheitswesen. Wer nicht mehr laufen kann, kann auch nicht fliehen. Deshalb, und um seinen Opfern nebenbei Verständnis für die gute Heilungssache abzuringen, setzt er einige hundert Leute durch fiese Rückenmarksoperationen gehtechnisch außer Gefecht. „Eines Tages werden wir ein Mittel gefunden haben, damit niemand mehr im Rollstuhl sitzen muß“, verkündet der diabolische Doc in seinen Undergroundlabors wie auch auf Steh(!)-Partys.

Öffentlichkeit kann ein solcher Forscher erst brauchen, wenn die Behandlungspreisschilder nicht mehr an den Füßen der Patienten baumeln. Das muß auch unser AiP lernen, nachdem sein „Junkie“ spurlos aus der Pathologie verschwunden ist. Spurlos?

Atemlos folgt die Kamera (allein die Bilder lohnen den Extrem- ismus) dem guten Guy, der zum Opfer des typischen Megahorrorkomplotts zwischen Paranoia und der Frage wird: Wer hat das Heroin in meiner vor Eintreffen der Polizei so ordentlichen Wohnung versteckt? Immer wenn du glaubst, das Komplott zu durchschauen, sind die anderen einen Schritt schneller. KGB, CIA, AOK? Der Ex-Doc muß hinabsteigen in die finsteren Unterwelten New Yorks, zu den obdachlosen U-Bahn-Menschen, um den zweiten geflohenen „Patienten“ zu finden.

Plötzlich müssen wir nicht mehr nur um unseren Good Guy bangen, sondern langsam auch um Apteds Filmplot. Fast verwuselt sich „Extrem“ auf tausend Nebenfährten und in abstrusen Unwahrscheinlichkeiten.

Um uns nicht nur mit verschwitzten Händen aus dem Kino zu lassen, sondern auch zu ethischen Grundsatzdiskussionen beim Bier danach anzustacheln, erfahren wir nicht, ob Luthan am Ende sogar doch noch das Erbe seines Gegenspielers antritt. Denn: Darf man solch extreme Forschungsergebnisse einfach wegwerfen? Andreas Becker

„Extrem“ (Extreme Measures). Regie: Michael Apted. Mit Hugh Grant und Gene Hackman. USA 1996

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen