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Veränderung hier und jetzt

■ Die Hommage „Humus“ an den Kritiker Helmut Salzinger ist auch ein Lesebuch über den Wandel kultureller Werte

Ein bißchen verspätet ist er schon, der Hommage-Band, den der kleine, ambitionierte Hamburger Kellner-Verlag jetzt Helmut Salzinger gewidmet hat. Schließlich ist Salzinger schon 1993 57jährig verstorben. Und, wie das mit solchen Nachruf-Sammlungen eben ist: Es stehen überwiegend Freundlichkeiten drin. Lesenswert ist der Band aber dennoch unbedingt. Was vor allem an der Figur Helmut Salzinger liegt. In seinen Lebenslauf haben sich – wenn man hier ein klein wenig in die Trompete stoßen darf – die Brüche einer ganzen Generation eingeschrieben.

In den wilden Jahren um 1968 propagierte Salzinger die Ablösung der Literatur durch die Rockmusik und die Etablierung einer qua Bewußtseinsänderung revolutionären Gegenkultur. „Woodstock Nation bedeutet den Versuch, Alternativen zum schlechten Bestehenden zu entwickeln und die Veränderungen hier und jetzt in Angriff zu nehmen ... Woodstock Nation ist ein Vorgriff auf die befreite Gesellschaft, ist der Beginn der Revolution.“ Solche Sätze konnte Salzinger, getarnt als promovierter Literaturkritiker, damals in der Zeit unterbringen – ab 1970 konnte er es nicht mehr, da trennte sich die Zeit-Redaktion von ihm; später schrieb er einiges in der taz.

Heute mögen solche Sätze nur noch irgendwie liebenswert klingen, aber indem er in seinen musikologischen Schriften stets kulturelle und politische Dinge zusammendachte, erweist sich Salzinger als einer der Vorväter der heutigen Spex-Culture-Studies-Fraktion.

Diederich Diederichsen macht in seinem Beitrag aber auch klar, wo die Trennlinie liegt: Salzinger setzte in den Siebzigern auf eine Mischung aus radikalem Ökologismus und Castaneda-Lektüre, was für die Nachgeborenen der 68er unverständlich bleiben mußte. Diederichsen löste Salzinger denn auch als Integrationsfigur bei der Musikzeitschrift Sounds ab. Salzinger hörte auf, seine mit dem Pseudonym Jonas Überohr gezeichneten Kolumnen zu schreiben, Diederichsen brachte das Blatt auf Pro-Punk-Kurs.

Salzinger zog dann nach Odisheim, Niedersachsen, versuchte es mit Lyrikzeitschriften, schrieb Gedichte aufs Landleben, pflegte seinen Garten und vollzog die ökologische Wende. Von der Kulturrevolution bis zum Leben in und mit der Natur – dieser Lebensweg hört sich fast schon zu exemplarisch an: Was seine Generation vor allem nur im Kopf verschob, hat Salzinger tatsächlich vollzogen. Daß sich dieser Weg in allen Stationen mit einer fundamentalen Menschenfreundlichkeit und einer Art kämpferischer Gelassenheit verband, kann man aus beinahe allen Beiträgen dieses Bandes herauslesen.

Einer der 21 Beiträge muß noch gesondert erwähnt werden. Jürgen Lodemann gibt Einblicke in die schulische Sozialisation Salzingers und macht so en passant klar, wogegen sich der Impuls dieses Lebens stets gerichtet hat – so ein Arschloch von Deutschlehrer, wie Salzinger ihn hatte, kann man sich heute wohl kaum noch vorstellen. Wie es kam, daß die meisten Deutschlehrer heute wohl eher mit Salzinger sympathisieren würden – wenn auch vielleicht nur klammheimlich – auch darüber läßt sich diesem Büchlein einiges entnehmen. Dirk Knipphals

Humus, Hommage a Helmut Salzinger, Kellner Verlag, 144 Seiten 28 Mark

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