piwik no script img

Virtuose weiße Männer mit Bart

■ Coming to town: Zeitgenössischer Blues aus sechs Regionen der USA

Schon 1968 sicherte sich Nick Gravenites seinen Platz in den Rock-Lexika, als er seine raunzige Stimme an der Seite von Mike Bloomfield und Buddy Miles bei der legendären Band Electric Flag ertönen ließ. Er komponierte für Janis Joplin, ging später mit dem unvergleichlichen, inzwischen unglücklicherweise verstorbenen Westcoast-Gitarristen John Cipollina auf Tournee und schaffte doch nie den endgültigen Durchbruch in die Eliteklasse der Rockmusik. Heute kann man seine ungebrochene Vitalität und Vokalität in den Clubs der Bay Area bewundern, und aus diesem Grunde taucht er auch in der aus zehn CDs bestehenden Anthologie „Talking With The Blues“ vom Label Taxim Records auf.

Taxim macht sich schon seit längerem um die Pflege hochwertiger, aber wenig massenkompatibler Musik verdient und stellt in der neuen Sammlung „contemporary blues songs“ aus sechs Regionen der USA vor. Vier CDs sind dem „Good Whiskey Blues“ gewidmet, der natürlich aus Tennessee stammt, zweimal kommt der Bay Area Blues zu Ehren, außerdem gibt es Garden State Blues (New Jersey), Desaster City Blues (Los Angeles), Sunshine State Blues (Florida), und mit der Kollektion „Truckin' My Blues Away“ Klänge aus Texas.

Die Blues-Kultur ist in den USA sehr lebendig, nahezu in allen großen Städten gibt es Blues- Clubs, in denen Bands auftreten, die sich allesamt verdächtig ähneln: sie sind glänzende Musiker, meistens weiß, tragen gern lange Haare und/oder Schnauzbärte. Ihr Sound ist gitarrenorientiert, die Stimmen sind selten markant, und es fehlt genau jenes Quentchen an Originalität und Kreativität, das ihnen mehr als lokale Berühmtheit verleihen könnte.

Auf „Talking With The Blues“ versammelt sich unbestritten die Creme jener Spezies von Blues- Virtuosen. Nick Gravenites ist einer ihrer ruhmvollsten, aber seine Biographie ist durchaus typisch für die übrigen. Fast alle haben sie mit großen Kollegen auf der Bühne gestanden oder bei deren Plattenaufnahmen mitgewirkt. Die kurzen Biographien in den sehr informativen Booklets wimmeln von Namen wie B. B. King, Stevie Ray Vaughan, Tom Petty, Muddy Waters, John Lee Hooker und vielen anderen. Neben vielen hierzulande Unbekannten finden sich auch einige bekannte Figuren. Die Toler- Brüder aus Tennessee arbeiteten lange mit den Allman Brothers zusammen, Harvey Mandel war Gitarrist bei John Mayall, Mark Naftalin, einst Mitglied der Paul Butterfield Blues Band, ist eine San- Francisco-Legende. Renommierte Instrumentalisten sind sie allesamt, von denen die meisten mit ihren eigenen Bands zwar CDs eingespielt haben, aber über regionale Bedeutung kaum hinauskommen.

„Talking With The Blues“ ist eine exzellente Gelegenheit, diese Leute kennzulernen, ohne in die USA reisen zu müssen, und nach Herzenslust geballten Blues zu hören, der nicht nur solide und perfekt gespielt ist, sondern auch bemerkenswert frisch klingt. „Contemporary“ eben. Matti Lieske

„Talking With The Blues. A Collection Of Contemporary Blues Songs From The United States Of America“. Zu beziehen über Taxim Records, Am Dobben 3, 27330 Asendorf oder im besseren Fachhandel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen