Im Egostadl

■ Operette statt Volksstück: "Der Dichter als Schwein" von Kroetz, in Düsseldorf uraufgeführt durch Thirza Bruncken

Erschrecken bei der Anreise aus Berlin. Noch vor Dortmund ist „Der Dichter als Schwein“ gelesen, und es gibt keinen Zweifel: Das Volksstück lebt! Drei Jahre nach dem Tod von Werner Schwab, und wohl weil nach ihm kein anderer an der Überführung des Menschlichen auf der Bühne in Sprachzombietum arbeitete, rührt es einen seltsamerweise doch wieder, wenn in lustig und liebevoll realistischen Dialogen zwischen der alltäglichen Erbärmlichkeit die Sehnsucht blinkt.

Ein vorweihnachtliches Anlehnungsbedürfnis an Theaterfiguren, die noch glauben, alles sei halb so schlimm, wenn sie nur miteinander reden? Oder eine plötzliche Sympathie für den 50jährigen Autor Franz Xaver Kroetz, der möglicherweise deswegen in so verschwitzte und ziellos exhibitionistische Regiearbeiten taumelte wie zuletzt den Hamburger „Woyzeck“, weil sein eigentliches Bekenntnisstück, „Der Dichter als Schwein“, acht Jahre auf die Uraufführung warten mußte? Ein Stück, das „meine drohende Auflösung und Zersetzung schildert“, wie Kroetz einmal sagte, und an das er sich selbst, als die Münchner Kammerspiele ihm schließlich anboten, es zu inszenieren, nicht mehr herangetraut hatte.

„Psychophysische Literatur, erlebt und geformt. Kann man daraus Theater machen?“ fragt der Schriftstellerfreund des „Dichters“ in der Düsseldorfer Fassung des Stückes. „Nein“, lautet die entschiedene Antwort des „Dichters“, und weil die zwei – ein Loser und ein Berühmtling, beide mit Potenzproblemen –, die gemeinsam das Kroetzsche Alter ego bilden könnten, nicht klüger sind als ihr Autor, ist „Der Dichter als Schwein“ denn zwar auch eine Nabelschau, aber nicht nur das.

Um den Münchner Dichter, Egozentriker und Alkoholiker Anton Keck scharen sich seine treue Freundin Inge, sein schwuler Freund Max, besagter Kollege Lorenz und Kecks kokainsüchtige 15jährige Tochter Cerolein, die Geld braucht. Eifersucht, Eitelkeit, lange Telefonate mit Intendanten, die wechselweise ein Stück zu Tschernobyl (in Düsseldorf: Gentechnik) oder ein revolutionäres Stück von ihm wollen. „Ich mach heut kein politisch linkes Theater mehr, nicht für 100.000 Mark“, sagt Keck, denn: „Ich kenn rauschgiftstüchtige Kinder, magersüchtige Kinder und streberhafte Kinder. Aber ich kenn keine revolutionären Kids.“

Tatsache ist natürlich auch, daß dem Dichter schon lange nichts mehr einfällt. So flieht er aufs Land zu Sepp und Rosl, die sein Landhaus hüten, und speziell zu deren Tochter Gundi. Alle anderen kommen nach, später trifft man sich bei Kecks Mutter im Altersheim, und Max fleht darum, daß sich Keck zu ihm bekennt. Am Ende sind wieder alle im Landhaus, und Cerolein bringt sich um. Eine aberwitzige Handlung voller morbider Metaphern, denn Cerolein läuft mit einem Schädelbruch herum und Gundi hat einen Gehirntumor.

Die Dialoge aber sind stark. Schnell, lakonisch und doch emotional. Wunderbar, wenn Sepp und Rosl im tiefsten Bayrisch mit Keck Konversation treiben wollen, sich dabei aber aus Gewohnheit um Hütchen und Stöckchen streiten, und immer haben beide recht. Zwischen Hundehaufen vor dem Fernseher, Rentenbescheid und „Zeddeeff“ blättert sich zwanglos das ganze Leben auf. Und wenn Keck es dann mit Gundi auf der Eckbank treibt, während die Familie (einschließlich Gundis Mann) schläft, liegt im spröden Wortwechsel eine tragische Zärtlichkeit: „Gundi: ,I mach de Aung zu und denk i hob mi scheidn lassn, mia ham gheirat un san af Urlaubsreise af de Seschelln.‘ – Dichter ernst: ,Ich liebe dich.‘ – Gundi: ,Psst, schdea ned meine Dram.‘“

Was sich in der Düsseldorfer Uraufführung durch die 38jährige Regisseurin Thirza Bruncken an dieser Stelle auf der Bühne abspielt, nennt dpa einen „Dauer- Paarungsakt“, der „zum Abgeschmacktesten“ gerät, „was Gegenwartstheater als ,Spiegel unserer Endzeitgesellschaft‘ zu bieten vermöchte“. Auf solchen bildungsbürgerlichen Eifer hat die Regisseurin offenbar gezielt – und nur auf den. Furcht und Elend des Dichterstadls verlegte sie in einen rotgepolsterten Salon, die sexuell- emotionale Frustration aller und das fortgesetzte Schwätzen darüber wird operettenhaft hochgezogen, Leiden und Lust an der Welt durch barocke Kostümierungen albern historisiert.

Bruncken zeigt Boulevard, was das handlungsarme Volksstück aber überhaupt nicht hergibt, und zudem sind außer Georg Marin als Sepp alle Schauspieler erschütternd schlecht. Das Publikum, darunter Krawattenträger mit gefärbten Haaren, wurde immer stiller, gegen den kurzen Applaus ließ die schwarzgekleidete Regisseurin ihren weißen Theaterschal leuchten. Der Autor zeigte sich nicht. Ein Hochhuth hätte eine einstweilige Verfügung erwirkt. Petra Kohse

„Der Dichter als Schwein“ von Kroetz. Regie: Thirza Bruncken. Düsseldorfer Schauspielhaus.