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Weder Mekka noch Moskau

■ In den zentralasiatischen Republiken der GUS erlebt der Islam eine Renaissance. Er hat 70 Jahre Sowjetherrschaft überstanden - im Untergrund und auf dem Land

Der Mann aus dem Reich der Hüter der heiligsten Stätten des Islam ist empört: „Nein, tut das nicht. Ihr dürft das Grab nicht umrunden, nur die Kaaba in Mekka.“ Der etwa Fünfzigjährige mit Vollbart stammt aus Saudi-Arabien. Das Könighaus Saud hat ihn nach Zentralasien geschickt, damit dort der Islam gestärkt, mehr Moscheen gebaut und der eigene Einfluß ausgeweitet werde. Der Missionar vom Golf hat sich dafür einen ungünstigen Ort ausgewählt: das Grab von Bacha ad-Din Nakschbandi vor den Toren der Stadt Buchara in Usbekistan. Im 14. Jahrhundert hauchte hier der Gründer und Namensstifter des Nakschbandiordens seinen Atem aus. Seither ist er Symbolfigur des Sufismus, eines mystischen Islam, der sich der Kontrolle einer Zentralgewalt konsequent entzieht – sei sie in Mekka oder Moskau.

„Ihr sollt keinen Gott neben dem einen Gott haben und niemanden als seinen Propheten verehren, außer Mohammed“, zetert der Mann auf arabisch und dann in gebrochenem Usbekisch und provoziert damit einen kleinen Volksauflauf. Anlaß seines Zorns sind Gläubige – Männer wie Frauen –, die das Grab umrunden, Gebete sprechen und das steinerne Monument berühren, ja sogar küssen. Dieser Ehrerbietung darf nach konservativem Glauben nur der Kaaba erfahren, der schwarze Monolith im saudischen Mekka.

Für einige Minuten gelingt es dem Saudi, die Menge für andere Dinge als das Nakschbandigrab zu interessieren. „Ich komme aus Mekka, wir haben dort viel heiligere Orte, als diesen hier!“ ruft er. Und auf die unter dem Steinbau ruhenden Gebeine gezielt: „Der, der da liegt, war ein ganz normaler Gläubiger, aber kein Prophet!“

Unter ausländischen Pilgern erntet der Saudi Beifall. Doch ein einheimischer Greis mit langem Bart, der religiöse Schriften verkauft, grinst – die meisten seiner Bücher sind in kyrillischer Schrift verfaßt. Nachdem der Saudi entnervt das Gelände verlassen hat, kehrt wieder das gewohnte Ritual ein: Fünf Männer mit Anzug und Schlips umrunden und küssen den steinernen Quader – sie sind Regierungsbeamte der Republik Usbekistan.

Der mystische Islam bildet die hartnäckigste religiöse Kraft in den zentralasiatischen GUS-Staaten. Sufi-Orden überstanden 70 Jahre kommunistischer Herrschaft häufig im Untergrund. Die meisten traditionellen islamischen Institutionen wurden zerstört oder zweckentfremdet: 1920 existierten in Zentralasien zwischen 25.000 und 30.000 Moscheen, beim Amtsantritt Michael Gorbatschows waren es nur noch etwa 200. Der Islam überlebte vor allem auf dem Land – in der Mahalla, der traditionellen Bauerngemeinschaft. Neben der Agrarwirtschaft organisiert sie das gesellschaftliche – und damit auch religiöse – Leben der Landbevölkerungen. Das Ergebnis ist ein volkstümlicher Islam voller Mythen und Legenden, die mit dem, was an religiösen Schulen gelehrt wird, nichts zu tun haben.

Nach der Unabhängigkeit der zentralasiatischen GUS-Staaten erlebten Volksislam und Sufismus eine Renaissance. Zum Teil werden diese Bewegungen von den neuen Staatsführungen unterstüzt – als Symbol kultureller Abgrenzung vom russischen Imperium.

Um an der Macht zu bleiben, stilisieren sich langjährige Kommunisten zu gläubigen Muslimen. So galt der Staatspräsident Usbekistans, Islam Karimow, bis zur Wende als getreuer Mann Moskaus, jetzt präsentiert er sich als Getreuer Gottes. Gegenüber dem westlichen Ausland präsentiert sich Karimow gerne als Kämpfer gegen den Islamismus – eine im Ausland gerne geschluckte Floskel zur Legitimierung der Unterdrückung politischer Opponenten. Die meisten usbekischen Oppositionsführer leben jetzt im Ausland oder gelten als „verschwunden“ so wie Abdullah Utajew, Gründer der örtlichen „Partei der islamischen Wiedergeburt“ – bis ihn jemand in einem Verlies des Geheimdienstes in Taschkent erkannte.

Den konservativ-mystischen Nakschbandi räumt Karimow dagegen bisher unbekannte Freiheiten ein: Das Grabmal bei Buchara ist ein internationales Pilgerzentrum. Seit Anfang Dezember erscheint sogar ein Magazin namens Nakschbandia. Herausgeber ist das Nakschbandia-Zentrum der staatlichen Universität Buchara.

Die usbekische Gesellschaft gehört neben der Tadschikistans zu den religiöseren Zentralasiens. In Turkmenistan, Kasachstan und Kirgistan spielt die Religion eine geringere Rolle. Turkmenistans Herrscher, der Ex-Kommunist Saparmurad Niyazow, verficht einen fast aggressiven Panturkismus: „Turkmenbaschi“ (Führer aller Türken) läßt er sich nennen, überall im Land hängt die Parole „Das Volk, die Heimat, Turkmenbaschi“. Doch ist Nationalismus in den zentralasiatischen Staaten kein einfach einzusetzendes Instrument: Stalin zog die Grenzen so, daß in keiner der Republiken eine deutliche ethnische Mehrheit entstand.

Besonders in Tadschikistan versucht die Führung der Islamischen Republik Iran ihren Einfluß in Zentralasien auszuweiten. Obwohl die Bevölkerungsmehrheit in Tadschikistan wie in allen anderen zentralasiatischen GUS-Staaten sunnitische Muslime sind und nicht wie im Iran Schiiten, sprechen für Teherans Engagement in Tadschikistan zwei triftige Gründe: In dem Land herrscht seit vier Jahren Bürgerkrieg – die von Moskau unterstützte Regierung sieht sich mit einer islamischen Opposition konfrontiert. Zweitens sprechen die Tadschiken als einziges zentralasiatisches Volk eine dem Persischen nahe Sprache. Alle anderen sprechen Turksprachen oder, wenn das nicht weiterhilft, Russisch.

Der Einfluß Rußlands ist bis heute überall spürbar. In Kasachstan wird immer noch die meiste offizielle Korrespondenz auf russisch verfaßt. Über 20 Prozent der rund 55 Millionen Einwohner der zentralasiatischen GUS-Staaten sind Russen. Ihr Einfluß führt zu einer sehr eigenen Mischung der Sitten und Gebräuche, gegen die auch ein saudischer Missionar nicht an kann: Bei Wodka-Runden wird gelegentlich in Richtung der nächsten Moschee geprostet. Wie selbstverständlich zieht denn auch ein Reisender in Turkmenistan während der zweitägigen Eisenbahnfahrt von Turkmenbaschi und Mari eine Flasche mit der Aufschrift „Kognak“ aus der Tasche. Auf dem geschorenen Schädel trägt er ein islamisches Käppi, der Bart sprießt, daß Afghanistans Taliban ihre Freude hätten – dennoch stürzt er die braune Flüssigkeit auf ex hinunter. „Ich bin gläubiger Muslim. Aber auf langen Reisen gelten Ausnahmen, das hat schon der Prophet gesagt.“ Thomas Dreger

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