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Trotz, blanker Haß

Die Diskussion um den Nationalpark im Wattenmeer: Ein exemplarischer Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie  ■ Von Sven-Michael Veit

Mit Widerworten von großen Teilen der Bevölkerung in Nordfriesland und Dithmarschen hatte Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Rainder Steenblock gerechnet, als er am 10. September dieses Jahres den „Synthesebericht Ökosystemforschung Wattenmeer“ vorstellte. Denn die Menschen am platten Watt glauben seit Jahrhunderten, am besten zu wissen, wie mit dem „Blanken Hans“ und den ihm abgerungenen Marschen und Kögen umzugehen sei.

Daß ihm nicht nur Trotz, sondern gar blanker Haß entgegenschlagen würde, ahnte Steenblock nicht: Am 27. November, bei einer Diskussionsveranstaltung in der Stadthalle Tönning über die in dem Bericht vorgeschlagene Ausweitung des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, erhängten und verbrannten erregte Demonstranten vor der Halle eine Strohpuppe, die dem grünen Minister nicht unähnlich sah.

Beispielhaft für den gesamten Konflikt sind die Diskussionen um die Strandparkplätze in St. Peter-Ording und um die Arbeitsplätze in der Muschel- und Krabbenfischerei. In dem Seebad auf der Halbinsel Eiderstedt sollen die Parkplätze auf dem kilometerlangen Strand geschlossen werden. Die Folgen wären, so die Interessengruppen vor Ort, katastrophal: Keine Touristen mehr, keine Arbeitsplätze, eine Region am Bettelstab (siehe Reportage nächste Seite).

Im Streit um die Muschelfischerei geht es nicht gerade um riesige Dimensionen, umso mehr aber ums Prinzip. Mit 2.800 Hektar nehmen die Muschelkulturen nur 0,9 Prozent der Nationalpark-Fläche ein. Der Synthesebericht empfiehlt, die weitere Expansion zu beenden und „die Erträge auf das durchschnittliche Niveau der letzten Jahre zurückzuführen“. Die Fischer könnten „vermutlich überwiegend in andere Gebiete ausweichen“.

Vorige Woche beschloß die Landesregierung dementsprechend, die Flächen für die Muschelfischerei in den nächsten zehn Jahren auf 2000 Hektar und damit auf die Größe von 1986 zu beschränken. In zwei Referenzzonen vor Büsum und nördlich von Sylt wird sie völlig untersagt. Auch eine dreimonatige Schonzeit zum Schutz junger Robben sollen die Fischer hinnehmen.

Die sehen sich ungerecht behandelt: Mit nur acht Kuttern sind sie im Wattenmeer unterwegs, das sei doch nichts im Vergleich zu den diversen Fähren und den ungezählten Sportbooten. Natürlich geht es auch um Geld: Satte 460.000 Mark verlangt Kiel nun für die Verlängerung der zum Jahresende auslaufenden Lizenzen, die noch vor drei Jahren für lediglich 800 Mark zu haben waren.

Murrend nahmen die Fischer diese Entscheidung hin; den Umweltschutzverbänden hingegen geht sie noch nicht weit genug. Die hätten am liebsten eine Halbierung der Fangflächen gesehen. Wie die beiden Muschel-Verarbeitungsbetriebe der Region reagieren werden, ist noch offen. Der größere der beiden, die Muschelkonserven GmbH in Emmelsbüll, hatte vor einem Monat vorsorglich allen 80 Beschäftigten „wegen der aktuellen Unsicherheiten“ gekündigt.

Der Widerstand an der Nordsee gegen die von den Wissenschaftlern empfohlene Ausweitung des Nationalparks Wattenmeer umfaßt gleichermaßen Fischer und Jäger, Schäfer und Segler, Bauern und Hoteliers. Und jede Menge Honoratioren, Vereinsmeier und Lokalpolitiker, die den Volkszorn teilen oder so sehr fürchten, daß sie ihn lieber teilen: „Dagegen kommt hier niemand an“, konstatieren Nordfrieslands CDU-Landrat Olaf Bastian und sein parteiloser Dithmarscher Kollege Jörn Klimant ebenso unisono wie nicht uneigennützig. Denn mit beinharter Opposition gegen die „rotgrüne Kieler Öko-Diktatur“ steigen vor Ort Wertschätzung und Wiederwahl-Chancen.

An der Westküste geht die Angst um, zu „Bewohnern von Reservaten“ ohne wirtschaftliche Existenzgrundlage degradiert zu werden. Die Umsetzung des Gutachtens würde zu einer „einseitigen Bevorzugung des Naturschutzes“ führen, lautet die nahezu einhellige Meinung, der auch SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis nicht gerade entgegentritt.

Sie wolle gern „ergebnisoffen diskutieren“, hatte sie auf der Tönninger Veranstaltung versprochen. In den nächsten zwei Jahren, die für eine Neufassung des Nationalparkgesetzes veranschlagt werden, sei es selbstverständlich, „das Einvernehmen mit allen Betroffenen zu suchen“. Für diesen Diskussionsprozeß sei der Synthesebericht „eine Handreichung, aber keine Bibel“. Klar, so Simonis, müsse jedoch jedem sein, daß „ein Nationalpark Zonen haben muß, wo der Schutzzweck der Natur Vorrang hat vor anderen Überlegungen“.

Im Mittelpunkt der Kritik steht das im Gutachten formulierte sogenannte Vorsorgeprinzip: Dieses fordert, daß „Einflüsse menschlichen Handelns auch dann reduziert oder unterbunden werden müssen, wenn eine negative Wirkung zwar bislang nicht nachgewiesen, aber wahrscheinlich ist“.

Aus weiten Bereichen des Nationalparks sei der Mensch eh schon verbannt, argumentieren die Kritiker, nun drohe „die Heimat zum Sperrgebiet“ zu werden. „Einheimische und ihre Tätigkeiten“, behauptet etwa der Amrumer Georg Quedens, die Naturschutz-Ikone der Westküste, würden „hauptsächlich als Störfaktoren begriffen“. Und von den 23 „Rangern“, die seit Mai dieses Jahres im Auftrag des Nationalparkamtes in Tönning über Flora und Fauna im Watt wachen, würden sich „auswärtige“ Umweltschützer wie der World Wildlife Fund (WWF), so Quedens, „eine Kontrolle über unbotmäßige Friesen versprechen“.

Kurgäste, die zugunsten von Algen oder Wattwürmern „vom Strand vertrieben“ werden, so lautet eines der Schreckensszenarien der im November in Husum gegründeten „Allianz der Westküste“. In ihr organisieren ausnahmslos alle Interessengruppen der Region den gemeinsamen Widerstand gegen den vermeintlichen Versuch, durch Einschränkung der Muschel- und Krabbenfischerei und vor allem durch die Gängelung der Tourismusindustrie, des mit Abstand stärksten Wirtschaftsfaktors zwischen Sylt und Elbmündung, die ökonomische Basis der Menschen in der Marsch zu zerstören.

Die aber sind der Ansicht, sie wüßten am besten, wie mit der Natur an der Nordseeküste zu leben sei. Seit mehr als 1000 Jahren, das ist Konsens an der Küste, hätten sie, die Friesen und die Dithmarscher, die Landschaft vor und hinter den Deichen geprägt. Sie waren es, die der Nordsee Land abgerungen und auch immer wieder mal an das Meer verloren haben; sie seien es, die im Einklang mit und im Respekt vor ihrer Umwelt zu leben gelernt hätten; sie seien es, denen niemand erzählen müsse, wie eine Natur zu schützen und zu erhalten sei, von der man lebe.

Und schon gar nicht dürften dies realitätsferne Wissenschaftler, radikale Öko-Ideologen und rotgrüne Ostküsten-Politiker wagen, für die, wie Silke Petersen vom Nordseebäderverband es formuliert, „auf dem Deich weidende Schafe ein größeres Bedrohungspotential darstellen als ein Öltanker“, der in der Deutschen Bucht seine Tanks illegal reinigt und die Küsten mit Öl verklumpt.

Einigkeit zwischen allen Kontrahenten, ob Fischer oder Umweltschützer, Hoteliers oder Umweltminister, besteht nur in einem einzigen Punkt: Mit den Waffenerprobungen der Bundeswehr im Wattenmeer vor Büsum, diesem „Frontalangriff auf den Nationalpark“, müsse endlich Schluß sein. Die gelbschwarze Mehrheit im Bundestag jedoch lehnte es vor gerade drei Wochen ab, die Waffentests zu stoppen. Sehr zur Freude von Peter Koerner, Präsident des Bundesamtes für Wehrtechnik. Die Ballerei im Watt sei „unverzichtbar“, kommentierte er das Bonner Votum, „auch wenn das immer wieder zu Konfrontationen mit sogenannten Umweltschützern führt“.

Widerworte vom Großteil der Bevölkerung an der Nordseeküste sind ihm gewiß.

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