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■ Nebensachen aus LimaKnipser, die Knipser beim Knipsen knipsen

„Journalist?“ fragt der Taxifahrer, und ohne eine Antwort abzuwarten, verlangt er gleich das Doppelte. In die Gegend um die Residenz des japanischen Botschafters kommen sonst kaum Touristen. Nur jetzt. Etwa 800 JournalistInnen sollen sich derzeit in Lima tummeln, um über die Geiselnahme der Tupac-Amaru-Guerilla zu berichten.

Die großen US-amerikanischen Fernsehgesellschaften wie die ABC haben gleich 40köpfige Teams mitgebracht. Rund um die Uhr stehen sie hinter der Polizeiabsperrung an der Residenz Wache, um gleich dazusein, wenn etwas passiert. Und wenn nichts geschieht, dann macht man es eben selbst: Ein japanischer Fernsehmoderator zieht sich extra eine kugelsichere Weste an, bevor er zur Live-Übertragung vor die Kamera tritt – danach kommt das schwere Ding wieder in den Requisitenkoffer.

Auf manchen Häuserdächern, von denen aus man die Residenz gut einsehen kann, haben sich Fotografen und Kamerateams eingenistet. Weil diese Häuser im inneren Sicherheitskreis liegen, kommen die Fotografen nicht mehr weg – die Polizei würde sie nicht wieder reinlassen. So gehen Kollegen für sie Lebensmittel einkaufen, mit einem Seil wird der Proviant dann hochgezogen. Clevere Hausbesitzer sollen ihre Dächer sogar für teures Geld vermietet haben.

Um die Residenz hat sich ein neuer Alltag etabliert. Die Anwohner scheinen sich daran gewöhnt zu haben, daß ab und zu ein Fotograf in ihrem Vorgarten nächtigt. Schwerbewaffnete Polizisten schlendern umher, und am Wochenende kommen Menschen aus anderen Stadtteilen, um Erinnerungen fürs Familienalbum zu schießen.

Man wundert sich bei dem ganzen Trubel schon etwas, wenn der Taxifahrer beklagt, daß „die ganze Geschichte mit der Geiselnahme sehr schlecht für den Tourismus“ sei. Dabei war doch so ein Aufschwung zu verzeichnen: 1996 sind in Peru 600.000 Touristen gezählt worden – und die Geiselkrise nutzt der Fremdenverkehrsbranche derzeit eher, als sie ihr schadet. Im frisch erbauten Nobelhotel Oro Verde ist kein Zimmer mehr zu haben. An anderen Hotels hängt das „Ausgebucht“- Schild vor der Tür.

Und damit Binnentouristen und Berichterstatter auch mal ausruhen können, hat seit Samstag wieder das Café an der Ecke geöffnet. Im „La Bonbonera“ kann man draußen sitzen, das preiswerte Mittagsmenü und die Sonne genießen – und vor allem: mit Blick auf die Absperrung, hinter der Polizisten mit Maschinengewehr und Bleiweste Wache schieben. Ingo Malcher

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