: Um 12 herrscht König Feurio
Über babylonisches Kokeln und gewöhnliches Abfackeln. Flamboyante Handreichungen zu Silvester ■ Von Kain Karawahn
Ohne Feuer kein Licht und keine Wärme, aber auch keine Musik. Eine innerlich brennende Kugel rotiert täglich um sich selbst und vollendet jährlich ihre Runde um einen riesigen Feuerball. Während auf der Kugel stationäre und temporäre Feuereruptionen tierische Brüllaute hervorpressen, verursacht das Lodern des Feuerballs permanent ein unvorstellbar lautes Getöse. Gedeihend eben auch unter Licht und Wärme dieses kosmischen Sonnenfeuers, leben auf der Erdewasserkugel Milliarden kleiner Wesen, die permanent Sauerstoff und temporär Nahrung verbrennen müssen. Diese biologischen Feuerchen verursachen ebenfalls kosmisch einmalige Klänge in beachtlicher Vielfalt: Rülpsen und Furzen.
Einer Spezies war es sogar vor mehreren hunderttausend Jahren gelungen, selber ein Feuer zu erzeugen. In der gemütlichen Urzeithöhle verursachte das Aufrechterhalten einer heimischen Feuerstelle zwangsläufig die Verlängerung des Tages und schaffte somit eine Grundvoraussetzung für Nachtkultur.
Das einfachste Lagerfeuer inspiriert jeden Menschen, sowohl als faszinierendes Schauspiel als auch als betörendes Konzert. „Hörst du, wie die Flammen flüstern – knicken, knacken, krachen, knistern – wie das Feuer rauscht und saust – brodelt, brutzelt, brennt und braust“ (aus „Das Feuer“ von James Krüss). Es wäre nachvollziehbar, wenn unsere Vorfahren in einem dieser vielen am Feuer wachenden Momente zum Summen, Brummen, Lallen, Singen, Trommeln und Tanzen gefunden hätten.
Um das Wohlwollen des Feuers entsprechend zu würdigen, begannen bereits vorchristliche Dorfgemeinschaften in Europa, an bestimmten Tagen im Jahr Feuerfestivals singend und tanzend abzuhalten (zum Beispiel Osterfeuer, 1.-Mai-Feuer, Johannisfeuer, Halloween). Oftmals wurden alle häuslichen Feuer im Dorf gelöscht und später dann mit einer vom Freudenfeuer mitgebrachten Fackel neu entzündet.
Nach der Solartheorie handelte es sich bei den Feuerritualen um einen Dankesgruß an die Sonne, verbunden mit der Bitte, daß sie auch weiterhin regelmäßig und ausreichend scheine und somit gute Ernten garantiere; nach der Purifikationstheorie ging es um das Vertreiben und Abhalten aller Seuchen, Plagen von Mensch, Tier und Ernten sowie ein Verbrennen von allem Bösen – oder was man dafür hielt. Hexenverbrennungen gehören auch in dieses weite Feld.
Vor zirka 1.100 Jahren wurde in China das erste pyrotechnische Feuerwerk entzündet. Chemischer Grundbestandteil der fliegenden und pfeifenden Feuergeschosse war Salpeter, damals auch als „Schnee aus China“ gedealt. Die Feuerdroge kam über die Araber nach Europa und wurde hier anfänglich für kriegerische Zwecke eingesetzt.
Im 16. Jahrhundert ließen dann europäische Fürsten und Kaiser zuerst von ihren militärischen Pyrotechnikern, später dann auch von Künstlern (zum Beispiel Leonardo da Vinci) öffentliche Feuerwerke inszenieren. Sie hatten erkannt, daß sich sternennahe Feuerspektakel hervorragend für Siegesfeiern eignen. Gewonnene Schlachten wurden unter Pauken und Trompeten aufwendig nachgestellt. „Die großen Herren wollen die Liebe der Höhern und des Pöbels erlangen, weil die Gemüther der Menschen bey dergleichen Lustbarkeiten, die den äußerlichen Sinnen schmeicheln, am ehesten gelencket werden können ... auch in calamitösen Zeiten, die ein Land oder eine Residenz drücken...“, heißt es in einer Chronik.
Einen gesamtkünstlerischen Höhepunkt erlebte das barocke Himmelsschießen, als kein Geringerer als Georg F. Händel die Beschallung des Feuerwerks am 26. April 1749 in London übernahm. Während des Freiluftkonzertierens ging tatsächlich ein Großteil der Bühne in Flammen auf. Händel ist mit seiner „Music for the Royal Fireworks“ überhaupt das erste, noch heute gespielte Werk gelungen, in welchem Charakteristika des Feuers musikalisch treffend gezündet werden.
Das traditionelle Feiern Silvesters (lat. silvestris: waldig; silvestria: Waldgegend; silvestris animus: ursprüngliche Wildheit) mit Feuer und Musik leitet sich urheberisch aus folgender Mischung ab: Papst Silvester I. gilt als der Namensgeber des mit Orakel- und Lärmbrauchtum zu begrüßenden Neujahrs; die Langeweile in den Winterquartieren des 30jährigen Krieges verführte einige feuerwassergefüllte Soldaten dazu, das Neujahr nicht nur anzugrölen, sondern auch anzuballern; Peter der Große hatte im 18.Jahrhundert in Rußland den Brauch eingeführt, den Jahresbeginn mit einem großen Feuerwerk zu feiern. Historisch eingebrannt ist somit der Grundsatz: „Keine Feier ohne Feuer – und Musik.“
Silvester heute bietet gleich mehrere feuermusikalische Zündeleien zur Auswahl. Man setzt sich vor einen Kamin, schaut und lauscht. So gelingt es, besinnlich Brücken zur Vergangenheit und in die Zukunft zu beschreiten. Es sind die gleichen Feuerbilder und -töne, die unsere Vorfahren gesehen und gehört haben. Oder es wird eine Feuerzangenbowle zelebriert.
Wie sagte doch Heinz Rühmann im gleichnamigen Film, als er gerade dabei war, den mit Rum getränkten Zucker zu entflammen: „Ich habe mir schon immer gewünscht, mal etwas Irrsinniges zu tun.“ Wozu Gaston Bachelard ergänzt: „Er [Alkohol] ist ein Wasser, das auf der Zunge brennt und beim geringsten Funken Feuer fängt.“
Die Psychiatrie bestätigt hierzu das häufige Vorkommen von Feuerträumen bei Alkoholdelirien. Also geistig getränkt Beethovens „Freude schöner Götterfunken“ auflegen und wie Nam June Paik das Klavier anstecken oder wie Jimi Hendrix die Gitarre entzünden oder andere Klanginstrumente, wie Syntheziser, Radios oder Blockflöten anfackeln und hinterher aus dem brandneuen Instrumentenrelikt die Zukunft orakeln.
Kommerziell orientiert empfiehlt es sich, die selbstorganisierten Pyrofonien per Mikrofon aufzunehmen und auf CD zu pressen. Passiverer Silvestergenuß wäre das Hören von Alexandr Skrjabins genialen Feuermusiken „Prometheus“ oder „Vers la Flamme“ oder Strawinskys „Feuervogel“ mit brennender Kerze direkt vor den Lautsprechern, so daß die Schallwellen die Flamme tanzen lassen. Oder es findet sich eine Videokopie von Alexander Kluges wunderbarer, sinfonischer Feuerwerkkompilation.
Eine zurückliegende TV-Ausstrahlung, in der irgendwelche Feuerwerke abwechselnd mit irgendeinem Ort der Welt fälschenderweise untertitelt sind. Etwas aktiver wäre dagegen der Verzehr scharfer Bohnensuppe, um anschließend jeden Flatus kunstvoll zu entzünden. Meister solcher „krepitalen Kanonaden“ war während der Belle Époque in Paris ein gewisser Monsieur Pujol. Er beherrschte sogar den Radetzkymarsch post tergum. Übrigens, sollten die Flati bläulich flammen, handelt es sich terminologisch um „Blue Angels“.
Oder die Nacht wird flamencotanzend mit einer „Flamme“ verbracht, beachtend, daß das Feuer der Liebe nicht im Hafen von Silvester absäuft. Etwas poppiger wäre das lautstarke Abspielen vertonter Verbalfeuerwerke mindestens in intimer Zweisamkeit: z.B. zögerlich beginnend mit dem Stones-Stück „Don't play with me, cause you play with fire“, dreister werdend mit „Come on baby light my fire“ von den Doors, hemmungslos mit Deep Purples „Smoke on the water (a fire in the sky)“, gipfelnd in „Burning down the house“ von den Talking Heads rübermixend in Frank Zappas „spritz, spritz“, um am Neujahrsmorgen mit Neil Youngs wirklich sehr feuertreffendem „It's better to burn out than to fade away“ zu enden – sollte es zwischendurch zu brenzlig werden, läßt sich mit Marianne Rosenbergs schrecklichem „Uns verbrennt die Nacht“ wirkungsvoll ablöschen.
Oder es wird das Heim verlassen zwecks zünftigem Tanzens zur Musik einer Feuerwehrkapelle. Spritzige Klänge von Feuerwehrmännern und -frauen, die zum Jahreswechsel, Florian sei Dank, dienstfrei haben. Ihre unfreien Kollegen müssen nämlich am selbstorganisierten Silvester- Großkonzert partizipieren: pyrotechnisch armierte und alkoholisierte Urbanitäter, also regelrecht feuerschwanger, berauschen sich bereits nach Weihnachten außerhalb geschlossener Räume innerhalb geschlossener Ortschaften.
Während die Feuerwerke des Barock nur von qualifizierten Personen inszeniert werden durften, sind in Demokratien zu Silvester alle Bürger ab 18 befugt, mit Feuerwerksutensilien zu kokeln. Dieses ist zwar gesamtkünstlerisch korrekt, aber leider auf banausischem Niveau, weil Schlag zwölf zu einem gefühlsexplosiven Potential von Blindbrennern mutierend. Kriegerisch rücksichtslos wird am Boden gezündet oder in die Luft geschossen, nervtönend pfeifend, dissonant krachend, babylonisch singend vermischt mit „Ah“ und „Oh“ und „Geil“ und „Toll“ und Gelache und Geheule und Schmerzgebrülle, weil ein Knaller in der Hand explodiert oder eine Rakete ins fleischliche Sehzentrum schmort, somit Wundbrennende delirisch die Englein singen hören, gummiquietschende Rettungswagen mit schrillenden Martinshörnern zu den Peinkoloraturenden dirigieren, simultan erste Flammen aus knallfroschverquakten Wohnungen trommeln und hierzu die nässenden Sirenen der Feuerwehren fortefortissimo klatschprasseln.
Und wenn dann final noch ein Opernhaus hochlodernd mitsengt, sollte sich wie damals Nero harfespielend auf dem Balkon plaziert und schmetternd intoniert werden: „Warum gibt es in Städten keine Waldbrände?“
Der Autor ist Feuerkünstler und lebt in Berlin
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