: Serbisch-orthodoxe Kirche stellt sich auf die Seite der Demonstranten
■ Präsident Milošević bittet um mehr Zeit für Antwort auf OSZE-Bericht. Miliz schreitet an Neujahr nicht ein
Wien/Belgrad (AFP/AP/taz) – Die Synode der serbisch-orthodoxen Kirche hat sich gestern offen auf die Seite der Oppositionsbewegung gestellt. Während erneut mehrere zehntausend Menschen in Belgrad gegen die sozialistische Regierung demonstrierten, warfen die Bischöfe dem Präsidenten Slobodan Milošević vor, das Wählervotum gefälscht zu haben sowie die politischen und religiösen Freiheiten zu unterdrücken.
Gestern abend sammelten sich zunächst rund 30.000 Menschen zu einem Protestmarsch durch die Innenstadt von Belgrad. Ein Sprecher verlas die Entschließung der Kirchensynode, in der „die Politik dieses Regimes“ in der bislang schärfsten Form verurteilt wurde. Außerdem warfen die Bischöfe Milošević vor, auch Blutvergießen in Kauf zu nehmen, um an der Macht zu bleiben. Die Demonstranten riefen in Sprechchören „Gott helfe uns!“ und „Nieder mit den roten Banditen!“.
Die serbische Regierung hat die OSZE um „ein bißchen mehr Zeit“ gebeten, um deren Bericht über den Ausgang der Kommunalwahlen im November zu prüfen. Das sagte ein Diplomat der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gestern in Wien. Eigentlich hätte Belgrad bis heute auf den Bericht reagieren sollen, laut dem die Annullierung von Kommunalwahlergebnissen nicht Rechtens war. Für heute hat die OSZE eine außerordentliche Sitzung einberufen.
„Diese Sitzung räumt allen Mitgliedsstaaten die Möglichkeit ein, individuell zu dem Bericht und seinen Konsequenzen Stellung zu beziehen“, sagte der OSZE-Diplomat. Er betonte, daß der Bericht keinen „vorläufigen Charakter“ habe. Dies hatte der jugoslawische Außenminister Milan Milutinović behauptet. Die Ergebnisse des Berichts der OSZE seien definitiv, es gebe keinen anderen Bericht, sagte der Diplomat. In ihrer Stellungnahme hatte die OSZE am 27. Dezember erklärt, der Opposition stehe der Sieg bei den Kommunalwahlen in 14 der 18 größten serbischen Städte zu.
Mehrere zehntausend Studenten und Bürger Belgrads hatten am Neujahrsabend trotz Demonstrationsverbots einen neuen Protestspaziergang im Stadtzentrum friedlich beendet. Zum ersten Mal seit dem Polizeieinsatz an Weihnachten konnten die Demonstranten ungehindert durch die Stadt spazieren. Mit Kochtöpfen, Trillerpfeifen und Glocken protestierten die Demonstranten lautstark gegen die Staatspropaganda. Ihr Weg führte sie deswegen am Staatsfernsehen und der regierungstreuen Zeitung Politika vorbei.
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