Wer für die Opposition stimmt, kommt in den Slum

■ In Singapur ist Demokratie etwas eigen – das zeigten auch die gestrigen Wahlen

Bangkok (taz) – Eigentlich hätte Singapurs Premierminister Goh Chok Tong den Tag ganz entspannt beginnen können. Sein Sieg bei den Parlamentswahlen gestern stand schon fest, bevor die ersten BürgerInnen des kleinen Inselstaates ihre Wahlzettel ausgefüllt hatten. 47 der 83 Sitze waren der Regierungspartei gewiß – für die hatte die Opposition erst gar keine Kandidaten ins Rennen geschickt.

Das Wahlsystem stellte zudem sicher, daß die seit über dreißig Jahren in Singapur herrschende People's Action Party (PAP) auch die meisten der übrigen 36 Sitze erringen würde. Selbst optimistische Regierungskritiker glaubten deshalb nicht, daß die Opposition künftig viel mehr Abgeordnete ins Parlament bringen würde als in der vergangenen Legislaturperiode – da waren es nur vier. Doch aus dem lockeren Wahltag wurde nichts.

Denn der 55jährige Premierminister, der seit 1990 als Nachfolger des autokratischen Lee Kwan Yew regiert, hatte die Abstimmung in dem 2,8-Millionen-Einwohner- Staat zum Referendum für seine eigene Politik gemacht. Jede einzelne Stimme für die Opposition gefährde die Stabilität und den Wohlstand des Landes, sagte der Regierungschef im Wahlkampf. Goh, unter dessen Regierung das durchschnittliche Einkommen von rund 1.700 Mark im Monat auf 2.200 im letzten Jahr gestiegen ist und das Wirtschaftswachstum jährlich über sechs Prozent betrug, schreckte auch nicht davor zurück, Oppositionspolitiker und widerspenstige Wähler direkt zu bedrohen: Das spürten besonders die Kandidaten und Bürger eines Distrikts im Norden Singapurs, wo die Vertreter der oppositionellen Workers Party gute Chancen hatten, die regierende PAP zu schlagen. Plötzlich behauptete die Regierung, Kandidat Tang Liang Hong sei ein „chinesischer Chauvinist“. Begründung: Tang habe vor über zwei Jahren einmal gesagt, daß es zu viele Christen und in englischer Sprache ausgebildete Minister und Bürokraten in Singapur gebe. Damit gefährde er die Harmonie zwischen den Bevölkerungsruppen (vorwiegend Chinesen, Malayen und Inder), erklärte Goh und kündigte an, den „Extremisten“ Tang zu verklagen.

Für den unglücklichen Oppositionskandidaten kam diese Drohung als Schock: Die Regierung hat mit Gerichtsprozessen und hohen Geldstrafen in der Vergangenheit schon mehrere politische Widersacher aus dem Weg geräumt, einige büßten für ihr oppositionelles Engagement gar mit dem finanziellen Ruin.

Den WählerInnen des Distriktes, die Goh gestern morgen persönlich vor dem Wahllokal begrüßte, hatte der Premierminister vorher schon klargemacht, was ihnen blühen könnte, wenn sie ihr Häkchen an der falschen Stelle setzten: Seine Partei würde die Ergebnisse jedes Wahlkreises genau analysieren. Wo für Gohs People's Action Party gestimmt würde, werde die Regierung vorrangig Gelder für die Moderniesierung der Wohnanlage lockermachen. Wer aber in Oppositionsbezirken wohne, müsse damit rechnen, nichts abzubekommen – und schließlich in Slums leben. Ministerpräsident Goh sagte, das internationale Ansehen seiner Regierung hänge am Wahlkreis Cheng San. So unverblümt waren die Drohungen Gohs, daß sich das US- Außenministerium dazu verleiten ließ, die Regierung von Singapur zum Respekt für die Entscheidungsfreiheit ihrer Bürger zu ermahnen. Die Reaktion kam prompt: Die USA unterstützen offensichtlich die Opposition, man verbitte sich die Einmischung.

Die Hoffnung der Opposition auf ein paar zusätzliche Sitze im Parlament gründen sich auf die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit steigenden Lebenshaltungskosten und der immer undurchsichtigeren Ausgabepolitik der Regierung. Im letzen Jahr gab es sogar zum ersten Mal Korruptionsvorwürfe gegen führende Regierungsmitglieder. Eine stärkere Kontrolle im Parlament würde nach Ansicht vieler in Singapur die Stabilität des Landes keineswegs erschüttern. Jutta Lietsch

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