: Mein wunderbarer Frisörsalon
■ Schrill, schnell und schweinebillig – Deutschlands einziger „Headhunter“ am Bremer Sielwalleck / Erfolgreiches Konzept aus England übernommen
remen ist ein gefährliches Pflaster. Schon für 20 Mark läßt sich hier ein Headhunter, ein Kopfjäger, mieten. Wer einen braucht, fragt an der Sielwallkreuzung nach Detlef Hünecke oder Demian Harrison. Die beiden sind da so bekannt wie Becksbier.
Einer von ihnen ist ohnehin immer im Laden am Eck, in dem sie ihre Dienste ganz öffentlich anbieten. „Headhunter“ steht in großen Lettern außen dran und „Schnitt 20 Mark, Farbe 20 Mark“. Zwischen Tuben, Tigeln und Weihnachtsdekoration türmt sich in der Auslage ein Haufen Mäntel. Deren BesitzerInnen, soviel läßt sich durch die beschlagenen Fenster erkennen, hocken in dem kleinen Laden beinahe aufeinander. Geduldig nehmen sie in Kauf, drei oder gar vier Stunden warten zu müssen, bevor sie einen neuen Kopf erhalten, genauer: eine neue Frisur.
„Headhunter“ ist kein Frisörsalon. Das wäre ein falscher Begriff. „Headhunter“ ist ein schräger Laden, mit grünen Matten an den Wänden, auf denen bunte Schmetterlinge äsen, mit blauweißen Himmelswogen unter der Decke und junger Musik im Hintergrund. Das Inventar besteht aus einer Backsteintheke mit Kaffeemaschine, einer Spiegelwand und vier roten Stühlen. Genug, um binnen fünf Wochen in Bremen Kult zu werden.
Seit dem 1. Dezember, dem Tag der Eröffnung, ist der Laden täglich rappelvoll. „Damit haben wir selbst nicht gerechnet“, sagt Demian. Der Neuseeländer, der vor drei Jahren nach Bremen gezogen ist, brachte die Headhunter-Idee aus England mit, wo sie sehr verbreitet ist. In der Bundesrepublik aber sind Detlef und Demian die ersten mit einem solchen Laden. Ihr Konzept: Qualitätsfrisuren zu Dumpingpreisen, 20 Mark pro Schnitt, egal ob Mann oder Frau. Termine werden nicht vergeben, drum hat der Headhunter kein Telefon. Es nützt auch nichts, bei „Tendenzen“ anzurufen, dem benachbarten Salon, der ebenfalls Detlef Hünecke gehört. Er wird sich nicht erweichen lassen. So selbstverständlich der Meister bei „Tendenzen“ auf Termin arbeitet, so selbstverständlich wechselt er sich jeden zweiten Tag mit seinem Mitarbeiter Demian ab, um unten im „Headhunter“ die spontan herbeigeeilte Kundschaft zu bedienen.
Wer zwischen 12 und 20 Uhr den Laden betritt, wird garantiert bedient. Die Prozedur beginnt wie beim „normalen“ Frisör mit dem Waschen der Haare. Sogar eine kleine Kopfmassage ist im Preis inbegriffen, und bei Bedarf eine Beratung. Dann aber wird der Haarschnitt zügig vollzogen. Flott, aber nicht schlampig, versichert Demian.
Tatsächlich wirken alle von der taz befragten KundInnen äußerst entspannt und zufrieden. Dabei auch eine ältere Dame. Sie ist nicht etwa gekommen, weil „Headhunter“ so preiswert ist, sondern weil sie sich vom Design des Ladens angesprochen fühlte. „Hier dachte ich, daß ich die Haare die Haare endlich so geschnitten bekommen, wie ich es will.“ Glücklich zupft sie sich beim Fönen die die flotte Kurzhaarfrisur, die andernorts mindestens 60 Mark gekostet hätte.
Freilich sind es überwiegend jüngere Leute, die den Schritt zum „Headhunter“ wagen. Die junge Frau mit dem flammend roten Schopf ist ehemalige „Tendenzlerin“. „Ich bin gekommen, weil der Frisör so nett ist“, sagt sie. Und warum sollte sie mehr bezahlen, wenn sie unten mit 20 Mark dabei ist? Die drei Stunden Wartezeit haben ihr nichts ausgemacht: „Ich war heute morgen, als ich mich im Spiegel sah, total genervt“, gesteht sie. Es mußte also schnellstens etwas passieren. Hätte sie sich bei einem Terminfrisör angemeldet, hätte sie ihr Spiegelbild noch mindestens eine Woche aushalten müssen.
Außerdem, bestätigt eine dritte Kundin, vergeht die Wartezeit im „Headhunter“ schnell. Das Ambiente ist ulkig, die Stimmung locker, die Themen abwechslungsreich, weil immer neue Leute kommen. Das Durcheinander, das ob der Enge entsteht, ist Demian gerade recht: „Chaos macht kreativ“, erklärt er und grinst. Man sieht ihm an, daß er Spaß hat, obwohl er mit knapp 20 Kunden am Tag beinahe doppelt so vielen die Haare stutzt wie bei „Tendenzen“. Die Befürchtung, daß „Headhunter“ zum hausgemachten Totengräber von „Tendenzen“ wird, hat er nicht, denn über den Dumpingpreis werden neue Kundenkreise erschlossen. „Das ist eine ganz andere Szene als oben. Hier kommen mittlerweile ganze Schulklassen her.“
Solche Mengen gehen zuweilen schon an die Substanz. Demians flotte Finger weisen leichte Wunden vom Schneiden auf, und manchmal schmerzt der Rücken. Doch „das gehört dazu“, erklärt er in einer Pause bei einem Löffel Joghurt, einem Kaffee und einer selbstgedrehten Zigarette. Er wechselt die Jungle-Kassette, legt Edith Piaf auf und weiter geht's. Mit der Kundin, die gekommen ist, weil sie hier keinen Termin braucht und keine Wasserstoffblondinen im Laden gesehen hat.
Dauerwellen macht Demian nicht: „Die dauern zu lange und stinken.“ Ansonsten ist alles machbar, wie bei jedem normalen Frisör. Sehr komplizierte Schnitte können ein paar Mark mehr kosten, doch 20 Mark ist die Regel. Teuer ist allerdings das Fönen von des Meisters Hand: Das kostet ebenfalls 20 Mark. Doch wer jetzt denkt, den Haken an der Sache gefunden zu haben, irrt. Denn wer selbst fönt, zahlt keinen Pfennig. „Wir wollen die Leute dazu bringen, das selbst zu machen“, erklärt Demian. Denn was, fragt er, nützt es den Kunden, wenn ihnen die Haare fachgerecht zurechtgelegt werden, und zuhause die ganze Pracht unwiederholbar zusammenfällt?
Sollte da etwa ein sozialkritischer Ansatz durchschimmern? Demian hebt abwehrend die Hände. „Ich habe keine Ideologie“, versichert er. Das Geschäft komme einfach allen entgegen: den Kunden, weil sie einen preiswerten Haarschnitt bekommen, und ihm, weil sich der Laden rechnet. So einfach ist das. Schnitt. dah
B
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