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Malaysia schiebt Fremdarbeiter ab

Gestern hat der „Tiger-Staat“ die ersten 2.000 Illegalen auf ein Schiff verfrachtet und nach Indonesien zurückgeschickt. Doch das Land ist eigentlich auf die Arbeitskräfte angewiesen  ■ Aus Bangkok Jutta Lietsch

Indonesier gießen Beton für die höchsten Bürotürme der Welt in Kuala Lumpur, Bangladescher zapfen Benzin an den Tankstellen, Birmesen ernten Kautschuk auf den Plantagen, Frauen aus Sri Lanka und von den Philippinen putzen, kochen und waschen im Haushalt.

Hunderttausende Männer und Frauen aus den ärmeren Staaten Asiens haben sich in den letzten Jahren auf den Weg nach Malaysia gemacht, angelockt vom Versprechen auf einen Job in der boomenden Wirtschaft des südostasiatischen „Tiger-Staates“.

Für viele geht die Hoffnung auf ein besseres Leben jetzt jäh zu Ende: Die Regierung hat angekündigt, sie wolle fast eine Million illegale ArbeiterInnen festnehmen und abschieben lassen. Seit Anfang des Jahres durchkämmen malaysische Polizisten und Soldaten Wohnblocks, Fabriken und Baustellen auf der Suche nach Schwarzarbeitern.

Eine erste Gruppe von über zweitausend Indonesiern wurde gestern bereits aus den Haftlagern in die Heimat verfrachtet – auf einem Schiff der indonesischen Marine, das die Regierung in Jakarta nach Malaysia geschickt hatte.

Bis Dezember hatten sich rund 300.000 illegale ArbeiterInnen in Malaysia registrieren lassen und eine Arbeitserlaubnis erhalten. Mehr als eine Million aber sind nach offiziellen Schätzungen noch im Land – und bedrohen nach Ansicht der malaysischen Regierung den sozialen Frieden.

„Wenn wir zu nachsichtig sind“, sagte kürzlich Vizeinnenminister Ong Ka Ting, „werden sich die illegalen Siedlungen immer weiter ausbreiten. Wir werden ein großes Problem mit Landbesetzungen, ansteckenden Krankheiten, Kriminalität und anderen sozialen Übeln haben.“ Die Kampagne soll sich aber nicht nur gegen Schwarzarbeiter richten: Malaysische Chefs, die Ausländer ohne Papiere anstellen, sollen künftig ebenfalls empfindlich bestraft werden. Sie müssen nicht nur mindestens 6.000 Mark bezahlen, ihnen drohen auch bis zu fünf Jahre Haft und Auspeitschung.

Die malaysische Regierung steckt in einem Dilemma: Sie braucht die ausländischen Arbeitskräfte, die sie so gerne loswerden will. Ganze Wirtschaftszweige würden zusammenbrechen, wenn es die billigen Wanderarbeiter auf den Baustellen und Plantagen, in Fabriken und Dienstleistungsbetrieben nicht gäbe.

Ohne ausländische Arbeitskräfte – offiziellen Schätzungen zufolge sind heute mehr als zwei Millionen im Land – könnte Premierminister Mahathir Mohammad seine ehrgeizige Vision von einem „entwickelten Industriestaat Malaysia im Jahr 2020“ nicht verwirklichen.

Seit Jahren verzeichnet die Wirtschaft Wachstumsraten von über acht Prozent. Wie bei den asiatischen Tigern Singapur, Hongkong oder Taiwan wurden auch in Malaysia, das zwanzig Millionen Einwohner hat, die einheimischen Arbeitskräfte knapp.

Zwar will die Regierung in Kuala Lumpur künftig vor allem kapital- und technologieintensive Produktion im Lande fördern, für die weniger Arbeitskräfte gebraucht werden. Aber dahin ist der Weg noch weit. So werden sich wohl viele der illegalen ArbeiterInnen, die jetzt in nächtlichen Razzien aus ihren Betten geholt, in Abschiebelager verfrachtet und in ihre Heimat transportiert werden, bald wieder auf den Weg nach Malaysia machen: auf eigene Faust oder mit Hilfe – hochbezahlter – illegaler Arbeitsvermittler, die ausländische Jobsuchende als Touristen oder mit falschen Papieren einschleusen.

„Eine ganze Kette von Arbeitgebern und Untervermittlern profitiert von dem Geschäft“, sagt Aegile Fernandez von der malaysischen Frauenorganisation „Tenaganita“, die für die Rechte ausländischer ArbeiterInnen kämpft. Die meisten kommen aus den asiatischen Nachbarländern, vor allem aus Indonesien, Bangladesch, Birma, Indien, Sri Lanka, von den Philippinen, aus Pakistan oder Nepal. Ausgebildete philippinische Krankenschwestern können in Malaysia als Hausangestellte über 300 Mark verdienen – mehr als in ihrem Beruf zu Hause. Ausländische Bau- und Fabrikarbeiter erreichen täglich im günstigen Fall bis zu 45 Mark.

Zunächst aber füllen sich die neun Abschiebelager des Landes. Es ist wohl kaum ein Trost für die Insassen, daß sich die Bedingungen dort in den letzten Monaten gebessert haben, seitdem die Frauenorganisation Tenaganita die Öffentlichkeit im Sommer 1995 über Hunger und Mißhandlungen in den Camps alarmierte und über den Tod von Abschiebehäftlingen berichtete. Die Regierung hat die Mißstände anschließend zwar zugegeben, aber dennoch Klage gegen die Leiterin von Tenaganita erhoben. Nach monatelangen Verhandlungen wurde der Prozeß im Dezember vergangenen Jahres erst einmal ausgesetzt.

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