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Serbiens Präsident steckt im Stau

■ Mit Einfallsreichtum und Chuzpe, vom Verkehrsstau bis zur Kirchenprozession, umgeht die serbische Opposition das Demonstrationsverbot. Oberbefehlshaber der Armee verspricht Studenten, nicht gegen den Protest vorzugehen

Belgrad (dpa/AFP/taz) – Die serbische Opposition will die Bürger zu weiteren kreativen Aktionen des „zivilen Ungehorsams“ aufrufen, falls Präsident Slobodan Milošević nicht ihre Wahlsiege bei den Kommunalwahlen vom 17. November in vollem Umfang anerkennt. „Unsere nächste Aktion wird sein, die Stromrechnungen und die Fernsehgebühren nicht mehr zu bezahlen. Sollen sie nur versuchen, den Strom abzustellen. Wir setzen die demokratische Entwicklung so lange fort, bis sie begriffen haben, daß ein Regime, das lügt und stiehlt, abtreten muß“, sagte Oppositionsführer Zoran Djindjić in Belgrad. Die sonntägliche Fahrzeugblockade in der Belgrader Innenstadt sei nur ein erster Schritt. Die Blockade solle der serbischen Führung zeigen, was alles passieren könne, wenn ganz Serbien gelähmt sei. Oppositionsführer Vuk Drašković kündigte Staus in allen Teilen des Landes an, wenn Milošević nicht alle Siege der Opposition in „drei oder vier Tagen“ anerkenne. Über den Sender B 92 rief Djindjić dazu auf, die Telefonleitungen aller Ministerien und der staatlichen Medien zu blockieren: „Jeder Bürger soll eine der Nummern einige Male anrufen. Dadurch werden die Zentralen blockiert und die Staatsinstitutionen lahmgelegt.“

Am gestrigen Abend vor dem Weihnachtsfest der serbisch-orthodoxen Kirche wollten die Demonstranten von Zajedno in einer Prozession zur Kirche des heiligen Sava marschieren, einer der größten Kirchen in Belgrad. Sie liegt etwa zweieinhalb Kilometer vom Platz der Republik, dem Kundgebungsort von Zajedno, entfernt. Patriarch Pavle kündigte an, dort eine Messe zu lesen.

Die jugoslawische Armee wird nach Angaben serbischer Studenten nicht gegen regierungskritische Demonstranten vorgehen. Dies sagte Studentenvertreter Dusan Vasiljević gestern nach einem Treffen mit der Militärführung in Belgrad. Oberbefehlshaber Momcilo Perišić habe eine entsprechende feste Zusage gegeben. Das Militär verhielt sich bisher gegenüber den seit sieben Wochen andauernden Protesten neutral. Beobachter gehen davon aus, daß sich immer mehr Offiziere gegen den serbischen Präsidenten wenden. 1991 hatte Milošević noch mit Hilfe von Panzern Proteste unterdrückt.

Unterdessen wiederholte Oppositionsführer Djindjić die Befürchtung, daß Milošević einen Bürgerkrieg provozieren wolle. In der ARD sagte er, im Gegensatz zu den Wahrnehmungen des Auslands sei die Macht von Milošević allerdings längst nicht mehr gefestigt. Der Präsident könne sich nur noch auf die staatliche Presse und die Polizei verlassen.

Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) hat Milošević aufgefordert, die Wahlsiege der Opposition anzuerkennen – „und zwar alle und sofort“. Der SPD- Außenpolitiker Karsten Voigt hat die Bundesregierung aufgefordert, das Oppositionsbündnis in Belgrad zu unterstützen und seine Vertreter nach Bonn einzuladen. Die EU müsse den Druck auf die serbische Regierung verschärfen, bevor auf die „mutigen und phantasievollen Proteste junger Menschen eine Tragödie“ folge, mahnte Voigt. Eine Einladung liegt bereits vor. Nach Oppositionsangaben wurden die Zajedno-Führer Vesna Pesić, Djindjić und Drašković zur Amtseinführung von US-Präsident Bill Clinton am 20. Januar nach Washington eingeladen. Kommentar Seite 10

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