: Zündschnur, Schwarzpulver und Gummistiefel im Gepäck
■ Ab morgen im Kino: „Signers Koffer“, eine Kunst-Reise durch halb Europa mit subtilen Knalleffekten
Hilfsarbeiter in der Dampfkochtopf-Fabrik „Flex-Sil“. Das muß es gewesen sein, das Schlüsselerlebnis für Roman Signer, „Explosions“-Künstler aus Appenzell. Signer schießt mittels Kleinraketen bunte Bänder über den rauchenden Stromboli, läßt schwimmende Wecker auf Flüssen fahren und feuert Hocker synchron aus den offenen Fenstern eines längst verwaisten Schweizer Kurhotels. „Maximalist der Bescheidenheit“ hat die Kunstkritik den 58jährigen Roman Signer, der seine vergänglichen Arbeiten vor zwei Jahren im Künstlerhaus am Deich vorstellte (die taz berichtete), getauft. Und seine Kunst „skulpturelle Kammermusik“. Aber was heißt das schon.
„Signers Koffer – Unterwegs mit Roman Signer“ ist die filmische Reise betitelt, die Regisseur Peter Liechti zusammen mit Signer unternommen hat – von Zakopane in den polnischen Bergen zu den heißen Quellen Islands, von Sizilien zu der von Industriebrachen zerstörten Landschaft Bitterfelds. Das Ergebnis ist wunderbarerweise kein schwermütiges Roadmovie, wo an ihrem Karriereweg zweifelnde, schmallippige Männer sich on the road an ursprünglichen Landschaften und Liebschaften delektieren und fast Tränen in die markanten Augen kriegen.
Weit gefehlt. Signer hinterläßt auf seinen Reisen die stark flüchtigen Spuren seiner filigranen Eingriffe in die Natur, und ein Verdienst des Films von Peter Liechti ist es, Signers künstlerischen Verfremdungen der Natur so in die verschiedenen Schauplätze eingebettet zu haben, daß zweierlei gelingt: „Signers Koffer“ sorgt nicht nur für mal heitere, mal tiefsinnige Irritationen durch die enorme künstlerische Fallhöhe zwischen grandioser „ungerührter“ Landschaft und den subtilen Guerilla-Aktionen Signers, die – sorgsam geplant und in Sekundenschnelle passé – auf die Natur keinen Einfluß und nicht einmal selbst Bestand haben.
Der Filmtitel verweist auch auf einen Zustand: den des Reisenden. Und der Frage nach der idealen Reisegeschwindig-keit widmet sich „Signers Koffer“ ebenfalls. Welches Tempo entspricht der Wahrnehmung einer Landschaft am besten? Wo liegt der Umschlagpunkt, wo der Reisende zum Touristen wird? Die Lösung heißt, zumindest in Italien, „Piaggio“. Das dreirädrige Gefährt, eine Art überbautes Zweirad, das, böse brummend, auch noch die engste Serpentine erklimmt, ist für Signer ein Lebewesen, das jault und stöhnt.
„Mein Leben besteht aus viel Arbeit, von der materiell wenig bleibt. Es ist eine Kunst des Verschwindens, ein räumliches Geschehen, bei dem es nachher nichts zu verkaufen gibt. Was ich herzustellen versuche, ist Poesie. Mich fasziniert es, daß das Resultat eines Revolverschusses nicht ein Mord, sondern Poesie ist“, sagt Signer. Und: „Ich habe ein empfindliches Gehör – ja, ich schäme mich geradezu für den Lärm, den eine Explosion verursacht.“ Die Scham sei es auch, erzählt Signer und lacht wie einer, der sich freut, wenn er sich selbst mal wieder auf die Schliche gekommen ist, die ihn immer wie einen Unbeteiligten den Ort der Kunst zügig verlassen läßt, nachdem's geknallt hat. Auch wenn er ganz allein steht in den Weiten Islands.
Und daraus entsteht eine Spannung, die's warm ums Herz werden läßt: Da ist einer, der sich weder um Zuschauer schert noch darum, ob die kleinen Detonationen und Explosionen genau das auslösen, was sie sollten. Die Natur wird's schon richten. Der, nachdem sich die Anspannung durch den Knall gelöst hat, einfach weggeht, mit seiner Zündschnur, dem Schwarzpulver, Hockern und Gummistiefeln.
Gummistiefel? In Stromboli hat Roman Signer eine Wassertonne auf einen Balkon gestellt, die Sprengung läßt den Wasserstrahl geradewegs in die hüfthohen Gummistiefel des Künstlers zielen. Vorher läßt der Regisseur Signer lakonisch erzählen, daß irgendwann das Gewicht in den Gummistiefeln zu groß und er wahrscheinlich umkippen werde. Genauso passiert es, ein Beispiel für den unprätentiösen Minimalismus des Künstlers und des Films.
Und was ist in Signers Koffer? Imaginäre Reisen, sagt der Appenzeller, der nach unzähligen Jobs seit 1972 als freischaffender Künstler arbeitet. Plastespielzeuge sozialistischer Bauart – Flugzeuge, Boote, Autos, Eisenbahnen –, die Signer von seinen Dutzenden Reisen aus Polen (woher seine Frau stammt) mitgebracht hat. Darunter ein besonders beklemmendes: Eine Plastefigur, die – auf Knopfdruck und in einer Bewegung – aus dem Bett hüpft, unmittelbar auf den Nachttopf setzt und, ist der Knopf losgelassen, zurück unter die Decke schlüpft.
„Eigentlich brauche ich keine Menschen“, sagt Signer, „ich möchte nur, daß man mich in Frieden läßt.“ Das tut auch Peter Liechtis melancholisch getönte, zwischen schmutzigen Farben, körnigem Schwarz-weiß und unscharfem umkopiertem Videomaterial changierendem Recherche. Über einen, der gar nicht anders kann als für die Kunst zu leben, und einen, der das vermitteln will – und weil er an den Worten scheitert, Bilder zu Hilfe nimmt. Alexander Musik
Im Kino 46, Waller Heerstraße 46, Donnerstag bis Sonntag um 18.30 Uhr.
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