: Der Gott des Faschismus ähnelt Baal
Auch ein Laboratorium der Moderne: Der Marsch des Ästheten und Dandys Gabriele D'Annunzio auf die Stadt Fiume. Ein Sammelband analysiert den Dichter als Kommandanten, Apokalyptiker und blauen Wolf ■ Von Wolfgang Lange
Am 12. September 1919 zog Gabriele D'Annunzio, einer der führenden Köpfe des europäischen Ästhetizismus, mit einem Haufen von Soldaten und Desperados auf Fiume, das heutige Rijeka. Ziel war es, in der bei den Versailler Verhandlungen ausgeklammerten Stadt italienische Hoheitsrechte nicht bloß geltend zu machen, sondern sie militärisch durchzusetzen. Das gelang. Ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen, übernahm D'Annunzio für gut ein Jahr das Regiment in dem von Italienern, Kroaten, Ungarn, Serben und Deutschen bewohnten Ort an der Adria. Damit schlägt die Geburtsstunde des Faschismus.
Ihr ist ein gerade eben im Wilhelm Fink Verlag erschienener Band mit Aufsätzen gewidmet: „Der Dichter als Kommandant: D'Annunzio erobert Fiume“. Der ein wenig reißerische Titel täuscht. Zwar enthält der Band neben einer Reihe von Dokumenten eine ausführliche Chronik des Geschehens, allein die von der Herausgebertroika Gumbrecht, Kittler und Siegert angeführten Autoren sind kaum an dem interessiert, was sich an der dalmatischen Küste vor bald 80 Jahren historisch zutrug. Dafür durchleuchteten sie um so eindringlicher Aspekte, die mit dem Ereignis eher lose verknüpft sind, aber weit über Fiume hinaus nicht unerheblich zum katastrophalen Verlauf der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert beigetragen haben.
Daß in Fiume der Faschismus erfunden und erprobt wurde mit allem, was dazu gehört: den Schwarzhemden und Totenkopfemblemen, Massenaufmärschen, Ansprachen und Feierlichkeiten, die sich nicht selten zu regelrechten Orgien auswuchsen („Freie Liebe für alle“), all das erfährt man, wenn auch eher nebenbei. Statt die Aufmerksamkeit noch eimmal auf das ästhetisch wie politisch mehr als abenteuerliche Experimentierfeld des Faschismus zu lenken, konfrontieren einen die Aufsätze mit Dingen, die demgegenüber eher abseitig und belanglos scheinen und doch direkt ins Herz der Finsternis führen.
Schmerz- und Erlösungstheologie
So behandelt Jeffrey T. Schnapp das Schweigen in den Fiume-Reden D'Annunzios als Schwelle von dessen virilem Aktivismus; Bojan Budisavljević berichtet vom Schicksal des Meeres im Zeichen des Torpedokrieges, Pamela Ballinger von den Mythen und Ritualen der Arditi („der Feurigen“), jener Elitesturmtruppen, auf deren bedingungslose Gefolgschaft noch Mussolini bauen wird. Friedrich Kittler schließlich hat sich deren deutsches Pendant vorgenommen, die Sturmbataillone, um ihren Todesmut auf den lichten Höhen von Heideggers „Sein und Zeit“ wiederzufinden.
„Fiume o morte“ – so die von D'Annunzio ausgegebene Parole. Folgt man Hans Ulrich Gumbrecht, der die Schmerz- und Erlösungstheologie des Comandante rekonstruiert hat, dann ist mit dem Schlachtruf weniger eine Alternative angezeigt als vielmehr eine Coincidentia oppositorum, die als chiliastisches Fundament des Faschismus zu begreifen ist. Als città di vita ist Fiume immer schon eine città olocausta. Von der Erlösung träumend, ohne sie doch anders denken zu können denn in Gestalt von Schmerz, Zerstörung und Tod, identifiziert D'Annunzio das eine mit dem anderen und gerät dabei unter den Zwang, zur Aufrechterhaltung des Erlösungsversprechens beständig neuer Opfer zu bedürfen. Der Gott des Faschismus ähnelt Baal: Er fordert nicht nur seinen Teil an Menschenfleisch, er braucht es, weil sein Heil und Segen, seine Existenz überhaupt von verstümmelten und zerschundenen Leibern abhängt. Ob die Opfer aus den eigenen Reihen rekrutiert werden oder aber wie im Nationalsozialismus biologistisch verbrämt „rassefremden“ Elementen zum Zwecke völkischer Hygiene abverlangt werden, das kümmert den Gott selbst wenig. Wer nicht zum Äußersten bereit ist, der hat in der faschistischen Heilsgeschichte nichts zu suchen.
Darin liegt ein Gutteil der Faszination, die vom Faschismus gerade auch auf jene ausging, von denen man anderes, Besseres hätte erwarten sollen: auf die künstlerische und intellektuelle Avantgarde. Nicht allein ästhetisch von bestechender Radikalität, trug sie mit dazu bei, die profan gewordene Dingwelt wieder in ein apokalyptisches Spektakel zu verwandeln, in einen Wirbel voller Zeichen und Wunder. Ein Flugzeug ist beileibe nicht einfach nur ein Flugzeug, sondern immer auch ein Kreuz, das, von Unheil und Erlösung kündend, durch die Lüfte streicht. An den Kesseln der Kanonenboote schuften keine Menschen, sondern Gespenster, bei D'Annunzio selbst rätselte man bereits zu Lebzeiten, ob er ein neuer Orpheus sei oder nicht vielmehr eine Circe.
Fiume ist im Windschatten des Faschismus verschwunden. Daß es auf der kulturellen Landkarte Europas weiter zu verorten bleibt, nicht zuletzt weil sein Schatten immer noch an der Adria und andernorts umgeht, daran erinnert zu haben ist ein Verdienst des in vielerlei Hinsicht verdienstvollen Bandes. „Eia, Eia, Ailalà“. Vorsicht vor den Wölfen!
Hans Ulrich Gumbrecht, Friedrich Kittler und Bernhard Siegert (Hg.): „Der Dichter als Kommandant: D'Annunzio erobert Fiume“. Fink-Verlag, München 1996, 340 Seiten, 58 DM
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