: Dänemark verklagt die Türkei wegen Folter
■ Der Fall eines Kurden mit dänischem Paß beschäftigt die Europäische Menschenrechtskommission. Klage ist Novum in der Geschichte des Europarates
Freiburg (taz) – Dänemark verklagte gestern die Türkei wegen Folter an einem dänischen Staatsangehörigen vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte in Straßburg. Der Däne kurdischer Abstammung war im letzten Sommer 42 Tage in der Türkei festgehalten worden. Zum ersten Mal hat damit ein Europaratsmitglied ein anderes wegen eines Einzelfalles in Straßburg verklagt.
Nach Informationen des Kopenhagener Außenministeriums war der dänische Staatsbürger Kemal Koc am 9. Juli in Ankara nach der Teilnahme am Begräbnis seines Bruders festgenommen worden. Die türkischen Behörden warfen ihm Beteiligung an Aktivitäten exil-kurdischer Gruppen vor. Erst nach massivem dänischen Druck war Koc 42 Tage später freigelassen worden. Kocs Berichte über Folter durch die türkische Polizei wurden nach eingehender Untersuchung vom Kopenhagener Rehabilitationszentrum für Folteropfer bestätigt. Die türkische Regierung wies die Beschuldigungen zurück.
Das Verfahren verläuft in zwei Stufen. Zuerst prüft die Europäische Kommission für Menschenrechte die Zulässigkeit der Beschwerde und gibt innerhalb von neun Monaten eine nicht-bindende Stellungnahme ab. Ist die Klage zulässig, wird sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) des Falles annehmen. Da Folter nicht rückgängig zu machen ist, könnte das Gericht Koc nur Schadensersatz zusprechen. Wichtiger an einer eventuellen Verurteilung wäre der diplomatische Schaden für die Türkei, die nach wie vor darauf besteht, ein Rechtsstaat zu sein.
Besondere Bedeutung hat der Fall von Kemal Koc dadurch erhalten, daß ihn sich die dänische Regierung zu eigen gemacht hat. Üblicherweise legen die Betroffenen die Menschenrechtsbeschwerde im eigenen Namen ein.
Die beiden Straßburger Instititutionen sind Einrichtungen des Europarates, dem 40 Staaten angehören. Die Türkei hat sich der Rechtsprechung des EGMR erst 1989 unterworfen. Erst kurz vor Weihnachten war der Bosporus- Staat zum ersten Mal wegen Folter verurteilt worden (taz vom 19. Dez. 1996).
Um den Kampf gegen Folter und unmenschliche Praktiken noch wirksamer zu machen, wurde 1987 eine Europäische Anti-Folter-Konvention ausgehandelt. Geschaffen wurde dabei ein Anti-Folter-Komitee, in dem alle Mitgliedsstaaten repräsentiert sind. Dieses Komitee hat freien Zugang zu allen Haftanstalten, Kasernen und Polizeiwachen der Unterzeichnerstaaten.
Auch dieses Komitee stellt der Türkei schlechte Noten aus. In einem Bericht vom 6. Dezember 1996 heißt es: „Die türkischen Behörden haben zwar eine Vielzahl von Verwaltungsvorschriften erlassen und Trainingsprogramme entwickelt. Allein, die Umsetzung hat sich als sehr langgezogener Prozeß erwiesen.“ Auch bei seinem jüngsten Besuch mußte das Komitee feststellen, daß Folter und Mißhandlungen in türkischem Polizeigewahrsam immer noch zum Alltag gehören. Die Berichte des Komitees werden in der Regel nicht gegen den Willen des betroffenen Staates veröffentlicht. Abweichungen von dieser Praxis gab es bisher zweimal. Betroffen war jeweils die Türkei. Christian Rath
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