: Offener Brief
■ an die Berliner Verkehrsbetriebe
Ich möchte mich recht herzlich für ihr Informationsschreiben bedanken. Dieses war für mich Anlaß, über die Feiertage etwas intensiver über Ihre Serviceleistungen und deren Kosten nachzudenken.
Es klingt vollkommen logisch, wenn Sie argumentieren, daß eine längere Fahrtstrecke mehr kosten soll als eine vergleichsweise kürzere. Haben Sie aber auch darüber nachgedacht, daß bei kürzeren Strecken die Nichtnutzung der Serviceleistungen des ÖPNV den Berliner gar nichts kostet? Ich habe bisher in den Sommermonaten meinen Arbeitsweg mit dem Rad zurückgelegt und nur bei miesestem Regenwetter die BVG gebraucht.
Und an den Wochenenden bin ich gerne mit dem Rad in der S-Bahn zu den Endbahnhöfen gefahren, um von dort meine Umlandtouren zu starten. Und auf der Rücktour natürlich von dort wieder mit der S-Bahn gen Moabit zu fahren. Und nun soll das Ganze mich 33 Prozent mehr kosten (zur Erinnerung: Von 840 Mark im April 96 auf 1.130 Mark im April 97)? Oder ich löse im Jahresabonnement einen Tarif A/B und muß dann an der Tarifgrenze aussteigen und für mich nachzahlen? Und vorher durfte ich noch für mein Fahrrad extra einen Betrag zahlen! Für mich wirkt dies sehr umständlich! Sie sprechen in Ihrem Schreiben auch von einem Ausgleich der allgemeinen Preissteigerung und einem Blick in die Zukunft, der Investitionen mit Weitblick und Sachverstand umfassen soll. Ich vermisse seit dem Mauerfall immer noch die Schließung des S-Bahnringes. Die Stationen Westhafen und Beusselstraße sind für mich optimale Ausgangsstationen auf meinem Arbeitsweg und bei der Gestaltung meiner Freizeit. Eine Eröffnung steht aber noch immer in der Zukunft.
Dazu fehlt immer noch eine verbindliche Planung für eine direkte Straßenbahnverbindung von Moabit nach Mitte. Statt dessen verpulvern Sie Unmengen an Planungskapazitäten und Geld in eine U-Bahnlinie, die, vom Alexanderplatz kommend, bestenfalls am Lehrter Stadtbahnhof enden wird.
Für Sie sind Sauberkeit, Sicherheit, Schnelligkeit und Service wichtige Punkte. Offensichtlich hat von Ihnen noch nie jemand versucht, im Berufsverkehr auf der U9 einen Sitzplatz zu bekommen. Mit etwas Glück gibt es ab Birkenstraße noch Stehplätze, wenn in Einzelfällen man nicht einen Zug auslassen sollte, da der nächste nicht ganz so überfüllt sein könnte. [...] Und dann gehört es zu den Spezialitäten der U9, öfter gerade nachmittags mehrere Züge ausfallen zu lassen und dann erst einmal ein oder zwei vollkommen überfüllte Züge auf den Gleisen zu haben. Und noch ein Wort zu den Bussen. Solange sie nicht ausreichend Busspuren in der Innenstadt nutzen können, ist eine Busstrecke hier wirklich nur dann sinnvoll nutzbar, wenn es am frühen Morgen oder späten Abend noch leer auf den Straße ist. Sonst kann man auf einzelnen Abschnitten zu Fuß schneller sein. Oder gleich mit U- und S-Bahn über Kreuz seinen Zielpunkt erreichen.
Desweiteren sind die Bustakte für mich ein immerwährendes Geheimnis geblieben. Warum der 126er und 227er am Abend ab Mierendorffplatz fast zur gleichen Zeit fahren, um dann wieder ein 20-Minuten-Loch anzubieten, ist mir unverständlich. Auf der Turmstraße läuft ein Mensch besser gleich, da die Takte meist so sind, daß entweder ein Bus gleich da ist und genutzt werden kann oder die Strecke im Fußmarsch mindestens genauso schnell zu schaffen ist.
Dazu Service: Gerade die von mir häufiger genutzten Stationen Spichernstraße, Zoologischer Garten, Turm- und Birkenstraße scheinen nicht zum festen Servicebereich der BVG zu gehören. Ich treffe hier regelmäßig Menschen, die sich im Netz der BVG nicht so auskennen und die dankbar für jede Hilfestellung sind. Die Serviceleistungen der BVG sind mir gerade am Zoo doch sehr rätselhaft.
All diese Ärgernisse könnten noch erträglich sein, wenn die Preise dies noch tolerieren ließen. Doch gerade Ihre Geschäftspolitik scheint darauf ausgelegt zu sein, regelmäßig ein- bis zweimal im Jahr über die Inflationsrate Ihre Preise anheben zu wollen. Damit vergraulen Sie aber Ihre Fahrgäste, die entweder über Pkw oder Fahrrad eine Alternative zum ÖPNV haben. Und wie Sie die Vorgaben des Senats zu einem Modalsplit von 80 ÖPNV zu 20 MIV im inneren S-Bahn-Ring unterstützen können, ist mir rätselhaft.
Für mich hat sich damit eine ganz einfache Lösung des Problems ergeben: Ich brauche in den Monaten April bis Oktober die BVG in der Regel nur für Touren ins Umland. Und in den Monaten November bis März hängt es oft vom Wetter und der eigenen Urlaubsplanung ab, ob tatsächlich eine Monatsmarke nötig ist. Wenn ich nun einen Bedarf von fünfmal 100 Mark als Maximalbedarf an Monatsmarken Ihrer Preisgestaltung von 1.130 beziehungsweise 890 Mark im Jahresabonnement gegenüberstelle, so ist die Kündigung eines Abonnements für mich die günstigere Alternative, als eine der von Ihnen angebotenen Wahlmöglichkeiten zu nutzen.
Somit kündige ich das von mir bisher über sieben Jahre gehaltene Abonnement bei der BVG. Die von ihnen angebotenen Leistungen stehen nach den oben aufgezählten Sachverhalten in keinem Verhältnis zum Preis und dem Ziel einer lebenswerten Umwelt. Ich werde in der Zukunft daher lieber mehr Fahrrad fahren. Einer schriftlichen Bestätigung meiner Kündigung sehe ich entgegen. Jörg Diedrichsen, Moabit
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen