: Ich werde Millionen sein!
Alan Parker hat die unglaubliche Geschichte Eva Perons, Argentiniens First Lady der 40er Jahre, nach Lloyd Webbers Musical „Evita“ verfilmt: Denn worüber man nicht sprechen kann, davon kann Madonna singen ■ Von Mariam Niroumand
Während seiner Schulzeit in Westminster besuchte Andrew Lloyd Webber einmal die Londoner Varieté-Show „The Talk of the Town“. Eine bereits sehr auf den Hund gekommene Judy Garland, die meist eine Stunde zu spät zu ihren Auftritten erschien, versuchte dort ihren Hit „Over the Rainbow“ zu singen, wurde ausgebuht und mit Münzen beworfen, bis sie sich wieder hinter die Bühne verkroch. So ungefähr stellten sich Lloyd Webber und sein Librettist Tim Rice dann Jahre später, auf den Höhen des Ruhms von „Jesus Christ Superstar“, den Stoff für die Oper vor, die „Evita“ werden sollte: die Tragödie einer Todgeweihten, die regenbogenförmig erzählt wird, eingerahmt von einem Lei(d)tmotiv, das ihren Aschenputtel-Anfang und ihr krebszerfressenes Ende markiert.
Eine dahinsterbende Sopranstimme, die am Ende der Oper die strahlende Vergangenheit wiedererweckt, hatte Lloyd Webber bei ausgiebigen Puccini-Studien entdeckt, in „Madame Butterfly“, „La Bohème“, „Tosca“. Evitas Hymne „Don't Cry for Me, Argentina“ ist allerdings, wie die gesamte Oper, von einer musikalisch kaum wahrnehmbaren Ironie durchkreuzt: Zart lächelnd erklärt sie dem jubelnden Volk vom Balkon der Casa Rosada aus, daß sie auf ihrem Weg nach oben vieler Leute Sprache gesprochen, aber letztlich doch immer nur eins im Kopf gehabt habe – „Seide und Samt“ und dann, heller: „Doch ich bleibe eine von euch!“
Webber fand Eva Peron schlicht widerlich, eine feuchtheiße, verlogene, unenglische Hure; Tim Rice hingegen war zwei Jahre in Argentinien gewesen, hatte Paraphernalien gejagt und sich in Evita verliebt. Alan Parker, der Regisseur, der die Rolle nun an Madonna vergab, nachdem sie ihn in einem achtseitigen, handgeschriebenen Brief darum angefleht hatte, behielt diese Ambivalenz geschickt bei. Strahlend, pompös und elegant, wie es sein muß, enthält sein Musical – nicht zuletzt dank des Drehbuchs von Oliver Stone – zugleich Kolportageelemente, die der Hagiographie schnell und gewitzt einige notwendige Korrekturen hinzufügen: das Shakehands mit Mussolini, die Unannehmlichkeiten, die dem Ehepaar Peron durch ihre ehemaligen Unterstützer, die Guerilleros, aber auch durch die lästigen Wahlen zuteil wurden, ihr lockeres Verhältnis zu temperamentvollen Polizeieinsätzen, die Öligkeit – alles vorgetragen von einem gewissen Che (in der Partitur noch Guevara, im Film Old Glutauge Antonio Banderas). Die Rezensenten der Uraufführung, die Lloyd Webber damals entrüstet fragten, wann er denn ein Musical über Hitler Superstar zu machen gedächte, haben nicht genau genug hingehört (außerdem gibt es schon eins).
Wie die meisten Romane beginnt auch der Film „Evita“ mit ihrem Tod; Vorhang auf für ein Kunstleben, ein vom Kino geschenktes. Im Kinosaal, in dem noch geraucht und Petting gemacht wird, läuft einer von Evitas Filmen auf der Leinwand, wahrscheinlich der rührende „Circus Cavalcade“, über den sich die juwelenklimpernden Damen von Buenos Aires stets aufs neue zu belustigen liebten: „Ein immer neuer Spaß, diese näselnde Stimme mit ländlichem Tango-Akzent nuscheln zu hören.“ Der Kinoleiter tritt auf die Bühne und verkündet Evitas Ableben. Was man nicht sagen kann, kann man durchaus singen oder tanzen – das Musical ist eben gestrippte Geschichte, läßt nur noch die Gefühle übrig. Die Kunst von Alan Parkers „Evita“ besteht darin, daß es gemischte Gefühle sind. „I'd be surprisingly good for you“, singt Evita mit fester Stimme, als sie den General das erste Mal auf sich aufmerksam gemacht hat. Madonna sitzt dazu, mit braunen Kontaktlinsen und laubsägeartig onduliertem Haar, in der Limousine neben ihm, der Blick nicht verliebt, aber auch nicht kalt, sondern von einem seltsamen Magnetismus, den sie den ganzen Film über durchhält.
Man kann sich die Choreographie und Ausstattung gut auf Postkarten vorstellen, so klar und schlüssig sind sie. Auf dem Weg von ihrem Heimatdorf in die große Stadt und weiter hinauf geben die schlitzohrigen Aufstiegsarien (“Good Night and Thank You“ oder „The Art of the Possible“) Möglichkeiten zu eleganten Mambos und Tangos, zu Nachtclubszenen und Küssen auf Hintertreppen, bei denen Liebhaber angelockt und abserviert werden. Von Landbraun über Hinterhofgrau bis Nachtschwarz wechselt die Palette, ohne jemals zu aufdringlich südamerikanisch zu werden. Banderas als unaufdringlicher Brechtscher Jedermann sitzt in allen Etablissements als Kellner, Rausschmeißer, Eintänzer und gibt die Kommentare, dabei sowohl sich selbst als Latin Lover als auch die gurrenden Ruhmgesänge gewitzt unterhöhlend. Die Gesangsnummern sind ineinander verschränkt; das „Don't Cry for Me, Argentina“ am Ende ist der Abgesang; im „Waltz for Eva and Che“, das einzige Mal, das Madonna und Banderas direkt miteinander tanzen, wirft er ihr die Folter und Unterdrückung im Land vor. Dabei erklingt das Motiv des untreuen Liebhabers noch einmal, das am Anfang auf Evitas ersten Mann gemünzt war und nun auf sie selbst.
Ein solches janusköpfiges Denkmal konnte nur von einem Engländer kommen. Als V.S. Naipaul Argentinien in den siebziger Jahren bereiste, bemerkte er, daß der geordnete Abzug der Briten eine seltsam unverbundene Gesellschaft hinterlassen habe: halb industrialisiert, halb feudal; während in Buenos Aires europäische Bourgeoisie entstanden war, herrschte auf dem Land zum Teil noch krudes, präkatholisches Heidentum, der esperitismo, Massentrancen, Medien, Wunderheilungen. Zu der Kränkung, eine Kolonie gewesen zu sein, kam die vom verlorenen Reichtum. Das Eldorado, in dem um 1850 nach dem großen Gemetzel an den Ureinwohnern nur etwa eine Million Leute lebten, die es sich leisten konnten, von einer Kuh „nur die Augen zu essen und den Rest wegzuwerfen“, war ein Land mit 23 Millionen geworden, davon ein Gutteil ärmlich lebende Immigranten: italienische Anarchisten, die Bauern wurden, konservative deutsche Händler, spanische Ladenbesitzer mit sozialistischen Neigungen, die Nachfahren afrikanischer Sklaven – das war in etwa die Gesellschaft, in der Eva Duarte aufgewachsen war. Hellseher und Hexen reisten umher, um den verlassen gefallenen Katholiken Schutz gegen die Poltergeister zu bieten, von denen sie in dem riesigen Land befallen wurden. Schwarze Messen gegen den „bösen Blick“ zogen sogar in der Hauptstadt bis zu 5.000 Leute an. Auf dem Höhepunkt ihres Ruhms küßte Evita Leprakranke, legte Krüppeln die Hand auf, segnete Babies, nahm läusebefallene Säuglinge in ihr Haus auf und wusch sie – alles in Dior-Kostümen. Die Porträts von ihr, die noch heute über manchen Küchenherden hängen, haben sie mit der rosa Haut und dem inneren Leuchten der Heiligen ausgestattet. Die Bauern an der patagonischen Küste wollen ihr Gesicht in den Himmel gezeichnet gesehen haben.
Nach ihrem Tod war die Leiche einem Einbalsamierer übergeben worden, der siebzehn Monate an ihr gearbeitet hat. Der Oberst, der ihre Bewachung übernommen hat, erschoß während dieser Zeit vor Schreck seine Frau, weil er dachte, Evita sei auferstanden. Die Putschisten wollten sie verschwinden lassen. Die meisten Biographien beginnen mit ihrem Tod; der Romancier Tomás Eloy Martinez erzählt das Ganze wie einen Borges- Stoff, aus der Perspektive einer zerfressenen, ausgehöhlten und mit Formalin vollgepumpten Leiche, die nicht sterben kann. Evitas meistzitierter Satz heißt bei ihm: „Ich werde wiederkommen, und ich werde Millionen sein.“ (Kein Wunder, daß sie für Webber/Rice der Stoff nach „Jesus Christ Superstar“ wurde.)
Daß Evitas Aufstieg – vom unehelichen Kind eines Kleinstlandbesitzers und seiner Wochenend- Geliebten über den Radio-Seifenopernstar bis zur Landesmutter – mit dem von Madonna verglichen werden würde, konnte nicht ausbleiben. Madonna selbst hat dem reichlich Vorschub geleistet, indem sie Vanity Fair ein Tagebuch zum Abdruck überließ, das ihre Erlebnisse während der Dreharbeiten in Argentinien zum Teil wie eine regelrechte Inkarnation aussehen ließ: „Letzte Nacht träumte ich von Evita. Nicht, daß ich draußen war und ihr zusah. Ich war Evita. Ich fühlte ihre Traurigkeit. Als sie krank war und an ihr Bett gefesselt, kam Peron nur selten in ihr Zimmer, weil er den Geruch nicht ertragen konnte. Er öffnete die Tür und winkte ihr nur von ferne, zog sich dann mit Ausflüchten zurück. Ich wachte auf und war tränenüberströmt.“ Anderntags heißt es dann aber angenehm schnoddrig von Eva Perons kindlichem Benefizwahn: „Wir drehen eine Szene, in der Eva ihre Wohltätigkeitssache macht. Also verteile ich den ganzen Tag Schuhe und Fahrräder und Medikamente und posiere vor der Kamera. Es gibt keinen Dialog, nur einen Haufen Küsse und Umarmungen – schnarch.“
Der Unterschied zwischen einer Frau, die in Macholand aufwächst – wo, wie Naipaul schreibt, der erzwungene Analverkehr gefeiert wird wie eine schwarze Messe –, die sich in mittelmäßigen Radioshows unbegabt an den Rollen großer historischer Figuren abarbeitet: Isodora Duncan, Elisabeth I., Madame Tschiang Kai-schek, und die dann schließlich, 24jährig, dem aufstrebenden Colonel Peron, einem Sugar-Daddy mit Mussolini-Ambitionen, begegnet, um zu dem 48jährigen zu sagen: „Colonel?“ „Was ist, mein Kind?“ „Danke, daß es Sie gibt“ – der Unterschied zwischen dieser Frau und Madonna könnte wohl kaum größer sein. Nicht in die Politik gewählt, sondern mit der Politik vermählt (Hillary!), zirkelt die Wohltätigkeit genau den Aktionsradius ab, der einer Landesmama zukommt. Aus Haß auf den Mittelstand, der ihr als Bastard die Anerkennung verweigert hatte, versprach sie dem Land ein Bündnis zwischen den ganz Reichen und den ganz Armen. Der strenge, goldene Haarkranz, den ihr Friseur der ursprünglich Brünetten 1945 verpaßt hatte, sollte einerseits an das Eldorado erinnern, das Argentinien einmal war, aber auch an Europa und die Heiligenmalerei. Wenn Madonna als Evita bei großen Auftritten vor weinenden Argentiniern ruft: „Mein Leben für Peron!“, wissen alle Bescheid: kein religiöses Erweckungserlebnis, keine gefährliche Reinkarnation, kein „Frühling für Hitler“, nur ein Film, ein sehr gelungener Film.
„Evita“. Regie: Alan Parker, Drehbuch: Alan Parker und Oliver Stone. Musik: Andrew Lloyd Webber, Lyrics: Tim Rice. Mit: Madonna, Antonio Banderas, Jonathan Pryce u.a., USA 1996
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