: „Wir streiten schon am Frühstückstisch“
Jutta Philippi Eigen ist Komponistin und Barfußärztin. Ihr Mann Peter Eigen war bei der Weltbank. Und während er Dritte-Welt-Länder auf Marktwirtschaft trimmte, kämpfte sie für die Rechte der Armen ■ Von Ute Scheub
Manchmal ist es ein Kugelschreiber. Manchmal ein funktionierendes Röntgengerät. Und manchmal nur fließendes Wasser. Schon das Allernötigste kann Luxus sein in der kleinen Ambulanz in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Jutta Philippi Eigen hat sich daran gewöhnt. An die Arbeit mit bescheidensten medizinischen Mitteln. An das Leben in Elendsvierteln. An die Rückkehr in die Welt der Reichen und Schönen. Jetzt sitzt die Ärztin an einem Steinway-Flügel und spielt eigene Kompositionen. „Hier“, sagt sie und zieht eine Partitur von Stockhausen aus einem Notenstapel, „die habe ich neulich erstanden. Ein Stück für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug. Fehlt nur der Schlagzeuger.“
Der Flügel steht in einer weißen alten Villa in Berlin-Zehlendorf, vor 90 Jahren gebaut von ihrem Großvater. Die Räume, in denen Jutta Philippi Eigen lebt, atmen noble Weite. Eng ist es nur auf den Regalen mit Schallplatten, Büchern und Schnitzfiguren. „Mir ist die Wohnung viel zu groß“, sagt sie fast entschuldigend und kramt Bilder aus Bangladesch hervor. „In meiner kleinen Hütte in Dhaka habe ich mich fast wohler gefühlt.“
Dort und in anderen Ländern hat sie in Projekten der „Ärzte für die Dritte Welt“ gearbeitet (siehe Kasten). „Am frühen Morgen schon“, erzählt sie, „haben unsere Patienten in einer winzigen Strohhütte in Mogh Bazar gewartet, einem der vielen Slumgebiete von Dhaka.“ Jutta Eigen, eine zierliche Person von 57 Jahren, zählt auf: „Arbeiter mit Verletzungen, Abszessen, Darminfektionen und Tuberkulose. Frauen, die von ihren Männern geschlagen wurden. Und die vielen Kinder mit Durchfall, Husten, Fieber, Wurmerkrankungen. Die meisten Krankheiten sind umweltbedingt. Die häufigste Ursache heißt Armut. Offene Abwässer. Müllberge. Fehlende Latrinen. Verseuchtes Trinkwasser. Wohnen auf engstem Raum.“
Jutta Philippi Eigen wohnt im weiten Raum. Sie hätte sich ihr Leben lang bei Cocktailempfängen der internationalen Schickeria vergnügen können. Als Weltbankmanager war ihr Mann Peter Eigen verantwortlich für prominente Entwicklungsprogramme, ging ein und aus bei hochrangigen PolitikerInnen. Seine Kreise zog er „ganz oben“, sie jedoch interessierte sich für „ganz unten“. Nein, sie ist keine gelangweilte Managergattin, die das für ihr Ego braucht. Sie hat ein ausgeprägtes soziales Gewissen. „Ein Porträt von mir?“ Davon will sie zunächst nichts wissen. „Ich bin doch nicht wichtig. Die ,Ärzte für die Dritte Welt‘ sind wichtig.“
In den USA, wo die Familie Eigen von 1966 bis 1992 lebte, ließ sie sich von der Studentenbewegung und Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg politisieren. Während ihr Mann sich für kapitalistische Wirtschaftsstrukturen in Chile stark machte, protestierte sie auf der Straße dagegen. Während er in Kenia als Direktor des Weltbank-Regionalbüros Wirtschaftsprogramme für Ostafrika koordinierte, kämpfte sie in der Hilfsorganisation „Crescent Medical Aid“ in den Slums von Nairobi einen oft verzweifelten Kampf gegen die typischen Armenkrankheiten.
Wie kommt ein solches Paar klar? Bestens! „Er mag die SPD, ich die Grünen. Er ist pragmatisch, ich bin emotional. Er liest morgens die FAZ, ich die taz, und wir streiten uns schon am Frühstückstisch.“ Jutta Philippi Eigen grient vergnügt, ausgeprägte Lachfältchen tanzen auf ihrem schönen Gesicht. Sie sagt es nicht explizit, aber Freunde, die das Paar erleben, spüren: Die beiden lieben und respektieren sich. Vielleicht auch, weil sie voneinander lernen, weil sich die unterschiedlichen Dimensionen ihres Denkens ergänzen.
Gemeinsam ist ihnen der Humor. Und die Musik. Wenn auch nicht die gleiche. Die studierte Pianistin und Medizinerin heimste für ihre Avantgardemusik beste Kritiken in der Washington Post und anderen Zeitungen ein. Der studierte Rechtsanwalt spielte mit seinem Saxophon in Jazzkellern. Beide veröffentlichten Platten. Beide spielten mit prominenten Musikern wie John Cage. Auch ihre drei Kinder begeisterten sich zeitweise für das Familienhobby.
Inzwischen aber sind die erwachsen und in alle Welt verstreut. Die 31jährige Tochter Johanna kümmerte sich zuerst in Kenia und jetzt im kanadischen Toronto um die Förderung von Kleingewerbe. Der 28jährige Christian lebt mit seiner italienischen Frau und zwei Kindern in Washington. Und der 25jährige Tobias, der in London studiert, strebt nach Afrika. „Wir sind Weltbürger, mit allen Nachteilen“, seufzt die Mutter. Ihre nahe Beziehung über solche Distanzen aufrechtzuerhalten kostet viele Flugstunden.
Amerika, Afrika, Europa – seit Jahrzehnten springt die Familie von einem Kontinent zum anderen. In den frühen 70er Jahren arbeitete das Ehepaar zeitweise in Botswana, sie im Regierungshospital und in der Buschklinik eines Medizinmannes. „Das war nicht mehr als eine kleine Hütte mit einem Tisch. Wenn ich fertig war mit der Versorgung meiner Patienten, warf der Heiler seine Knochen aus. Eine gelungene Symbiose zwischen moderner und traditioneller Medizin“, findet sie.
Ihr Mann, mittlerweile bei der Ford Foundation, sicherte dem Staat Botswana derweil größere Nutzungsrechte für die einheimischen Ressourcen – einschließlich der Diamantenminen, die der südafrikanische Edelsteinbaron Harry Oppenheimer beanspruchte. „Botswana ist heute ein reiches Land ohne Auslandsschulden. Dazu hat Peter beigetragen“, bilanziert die Medizinerin.
Nach der Zeit in Botswana gingen sie in die USA, kamen später wieder nach Ostafrika. Jutta Philippi Eigen, die in den Obdachlosenkliniken und Suppenküchen Washingtons gearbeitet hatte, wurde zur Barfußärztin in Kenia. Und, nachdem die Befreiungsorganisation Swapo 1990 die Wahlen gewonnen hatte, auch in Namibia.
Ihr Mann hatte inzwischen den Kampf gegen die Korruption angetreten. Nigeria und Zaire, erzählt sie, seien herausragende Beispiele dafür, wie reiche, mit Bodenschätzen gesegnete Länder durch Korruption in Elend und Gewalt versinken. Deshalb habe Peter Eigen mit MitstreiterInnen aus aller Welt das Netzwerk „Transparency international“ gegründet.
Das war 1993 in Berlin. Seit der Rückkehr der Familie nach Deutschland steckt der Jurist alle Zeit und Kraft in den ehrenamtlichen Kampf gegen die Korruption. Jetzt könnte das Ehepaar ein ruhiges Leben führen, aber er jettet von Vortrag zu Kongreß zu Konferenz, und seine quirlige Ehefrau hält es auch nie lange im Haus.
Sie fährt zu internationalen Festivals nach St. Petersburg, Zagreb oder Litauen, um moderne Klaviermusik vorzuführen oder Workshops über John Cage abzuhalten. In Berlin versorgt sie im Rahmen eines Ärztekammerprojekts vertretungsweise die Obdachlosen in Friedrichshain. Und mindestens sechs Wochen im Jahr reist sie wieder als Barfußärztin in „ihre“ Slums. In Kalkutta war sie schon, im philippinischen Mindanao, in Dhaka, immer bei den Projekten der „Ärzte für die Dritte Welt“.
Und auch wenn sie wieder zurück ist, in ihrer Villa in Berlin- Zehlendorf: Ihre PatientInnen vergißt sie nicht. „Eine alte Frau in Dhaka hatte schweres Asthma“, erinnert sie sich. „Nach jahrelangem Steinklopfen, Lastenschleppen und Kinderaufziehen war sie müde und ausgemergelt. Sie wog nur noch 29 Kilo. Auf ihrer Patientenkarte war nachzulesen, daß sie erst 40 Jahre alt war.“
Ein anderer Fall macht sie heute noch wütend. „Ein junger Rikschafahrer hatte seine Frau mitgebracht. Er lebte mit ihr und den sechs Kindern in einer winzigen Wellblechhütte. Tagelang hatte sie da gelegen – ohne Wasser, Medikamente oder Pflege, mit hohem Fieber. Im Krankenhaus, wohin wir sie brachten, wurde unser Verdacht auf Hirnhautentzündung bestätigt. Sie wurde dort gut gepflegt und intravenös behandelt. Nach nur zwei Tagen meinte ihr Ehemann allerdings, nun müsse sie wieder nach Hause und für ihn kochen.“ Sie lehnt sich in ihrem Korbsessel zurück. „Das sind Momente der Frustration und der Ratlosigkeit. Und trotzdem wird in diesen Projekten täglich Erstaunliches erreicht: Schmerzen werden gelindert, Kinder werden gesund, Wunden verheilen.“
Die Welt von oben wäre für sie nichts ohne die Welt von unten. „Demnächst fahre ich nach Manila“, freut sie sich. „In diesen sechs Wochen Projektarbeit fühle ich mich immer wie zu Hause.“
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