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Die Freizeit, ein Traum

Maria Eichhorn hat für die Direktion Ost der Generali-Versicherung als „Kunst am Bau“-Projekt eine Vitrine anfertigen lassen, in der die Angestellten ihre Erinnerungsstücke ausstellen  ■ Von Harald Fricke

Hinter dem Innsbrucker Platz wirkt Berlin ein bißchen verloren. „Wohnkultur“ steht an der nackten Brandmauer, auf die man unsicher am Knotenpunkt unter der Autobahnbrücke zutappt. Gegenüber schwebt ein Aluminium-Mobile von George Rickey an einer dünnen Stange. Dort haben die Generali-Versicherungen mit Hauptsitz in Mailand 1994 einen verglasten Bürokasten als neue Dependance bezogen.

Mit der Siebziger-Jahre-Kunst vor der Tür wollte die Firma jedoch nichts mehr zu tun haben, als sie 1994 ein Kunst-am-Bau-Projekt für die Direktion Ost ausschrieb. Statt der sonst üblichen dekorativen Großgemälde in jedem Stockwerk „mit Schwerpunkten in der Lobby und der obersten Etage“, bat Sabine Breitwieser, die als künstlerische Leiterin der firmeneigenen Generali Foundation in Wien vorsteht, die 34jährige Berliner Künstlerin Maria Eichhorn um einen Entwurf. Wohl im Bewußtsein, daß betriebliche Auftragskunst kaum mehr als den Ruf des Unternehmens stärkt, sollte Eichhorn das gesamte Personal miteinbeziehen. Der Anspruch hat Methode: Immerhin werden in der Wiener Niederlassung nicht bloß Künstler-Theoretiker wie Gordon Matta-Clark, Valie Export oder Dan Graham ausgestellt, sondern auch Mitarbeiterschulungen in Sachen Kunstvermittlung durchgeführt. Mit Freitickets fürs Museum à la Hugo Boss AG ist es bei Generali nicht getan – die Angestellten müssen selbst an ihrer Kultur feste arbeiten.

Dieser Ausgangspunkt kam der konzeptuellen Vorgehensweise Maria Eichhorns, die lieber von Objekten absieht und statt dessen auf Kommunikation mit dem Publikum setzt, sehr entgegen. Eichhorn versucht in ihren Arbeiten, Kunst und Öffentlichkeit dermaßen eng zu führen, daß sich die Interessen beider Seiten wenn möglich deckungsgleich abbilden lassen. Am Ende entsteht ein hybrider sozialer Raum, der zwischen Wunsch und Alltag nicht zu trennen vermag: So dokumentierte sie 1995 auf der Biennale in Istanbul mit einer Posterwand die unterschiedlichen Aktivitäten politischer Gruppen, während vor zwei Jahren bei der Arbeit „Leinwand/ Pinsel/Farbe“ die Belegschaft des Martin-Gropius-Baus in der Berlinischen Galerie selbstgemalte Bilder ausstellte. Eichhorn hatte lediglich die Anweisung gegeben, die Flächen monochrom zu gestalten (schließlich hat Farbfeldmalerei in Berlin Tradition).

Auch für „Arbeit/Freizeit“ blieb die Künstlerin im Hintergrund. Nach diversen Vorgesprächen durften sich alle Angestellten einen Gegenstand aussuchen, in dem sich ihre Beziehung zu Firma und Privatleben spiegelt – individuelle Verhältnisse eben, die Eichhorn weder bloßstellt noch beschönigt, sondern stumm arrangiert und archiviert hat.

Die Offenheit hat sich gelohnt: Von den 60 MitarbeiterInnen kamen tatsächlich 49 Souvenirs zurück, die jetzt in einer Vitrine am Empfang ausliegen – Teddys, Selbstgestricktes, Privatfotos, Feuerstein-Schlipse und Streichholzsammlungen. Für Karl-Heinz Höhns Wunsch nach Goldfischen wurde ein spezielles, zylinderförmiges Aquarium angeschafft, und Frau Isolde Hartmann stiftete einen Drachenbaum.

Nun mag das Ensemble zwar die ausgesprochen gute Moral innerhalb des Betriebs wiedergeben – was aber hat all der Nippes, Kitsch und Hobby-Bastelkram mit Kunst, zumal am Bau, gemeinsam? Einige der Beteiligten waren eher skeptisch: Anita Noack aus der Abteilung „Sachbearbeitung“ hätte doch lieber „die kahlen Wände der Generali-Flure mit Originalbildern behängt“, und die Frau aus der „Vertragsbearbeitung“, Susanne Haid, findet das Ziel der Installation unklar, zumindest viel zu sehr davon bestimmt, was den Leuten einfällt. Doch gerade wegen ihres Unbehagens an der blanken Selbstreferentialität haben sie sich an „Arbeit/Freizeit“ beteiligt und eine mundgeblasene Vase oder wenigstens ein paar Kassenbons von Karstadt beigesteuert – Kunstkritik als Readymade.

Mit dieser Reaktion ist Maria Eichhorns Eingriff bereits am Ziel. Es ging ihr nicht um die Verfertigung eines originären Kunstwerks, sondern um das Aufzeigen von Prozessen, die täglich im Betrieb ablaufen, aber nur selten ein Abbild finden. Natürlich merkt man „Arbeit/Freizeit“ die künstlerische Handschrift an – sei es in dem seltsam fahlen Vitrinenholz aus Buche oder im Arrangement der Gegenstände, wo nun eine Generali-Urkunde aus dem Jahr 1893 neben dem Plakat zur ersten Doors-LP liegt; oder in der Idee, all diese Nebensächlichkeiten überhaupt zu einer Geschichte zu verzahnen, die zumindest etwas von dem Paradox widerspiegelt, daß Freizeit längst Arbeit macht, bzw. eine Ersatzfunktion für den Beruf darstellt, ob im Schrebergarten oder an der Nähmaschine.

„Die Freizeit bleibt wie im Traum befangen, der die Tagesreste aufarbeiten muß“, zitiert Eichhorn Jürgen Habermas' 1958 verfaßte „Soziologische Notizen zum Verhältnis von Arbeit und Freizeit“ und stellt damit auch in Frage, inwieweit ein künstlerisches Projekt, an dem die Belegschaft beteiligt ist, mehr über den Betrieb aussagen kann als jede seit 100 Jahren durchgeführte Statistik der empirischen Sozialforschung. Vielleicht ist der adäquate künstlerische Ausdruck auch nichts anderes als Hilfe zur Selbsthilfe – was dem Widerspruch von Arbeit und Freizeit immer noch mehr gerecht wird als irgendein aufgepfropftes Kunsterlebnis.

Daß sich in dieser ausdifferenzierten Gemengelage trotzdem recht skurrile Randerscheinungen finden, zeigt eine Publikation mit Kurzporträts der Angestellten, die Annett Gröschner und Helmut Höge im letzten Jahr gesprochen haben. Thorsten Hüter etwa war vor seiner Umschulung zum Sachbearbeiter bei der NVA. Weil er, gemeinsam mit seiner Kollegin Brigitte Lüdke, einmal eine Vorstellung „von der Größe des Konzerns“ bekommen wollte, haben die beiden eine Weltkarte ausgesucht, auf der nun mit kleinen Fähnchen alle Filialen des Konzerns eingezeichnet werden sollen, damit man weiß, „wo die Generali überall aktiv ist“. Über diese Art situationistischer Recherche hat sich Höge sehr gefreut, auch wenn er die Versicherung „ziemlich anständig“ findet. Noch liegt ihr Anteil auf dem deutschen Markt nur bei 0,7 Prozent.

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