Zwischen Presse und Paradies

Die Welt der braven Zahler und kreativen Steuerflüchtlinge  ■ Von Maurizio Recchia

Albert Einstein, der Schöpfer der Relativitätstheorie und zweimaliger Physik-Nobelpreisträger, brachte die Sache auf den Punkt. „Die schwierigste Angelenheit der Welt“, erklärte er 1932, „ist der Durchblick bei der Besteuerung des Einkommens.“ In den sechseinhalb Jahrzehnten seither hat sich daran wenig geändert; die Zeitungen The Economist und L'espresso jedenfalls haben zum Jahresanfang in einer großangelegten weltweiten Vergleichstudie erneut an den berühmten Satz des Gelehrten erinnert. In der Tat scheint kaum etwas weniger kompliziert als die Festlegungen, wer wieviel von dem Eingenommenen an den Staat abführen muß.

Das beginnt bereits bei der Mindestquote, bei der die Besteuerung einsetzt, in Deutschland „Freibetrag“ genannt. In Luxemburg etwa zahlt ein Ehepaar bis zu einem Jahresverdienst von gut 35.000 Dollar überhaupt keine Steuern, in den Niederlanden dagegen schon bei 6.200 Dollar, in Deutschland: 8.500. Auch die Quoten und die Steuersätze und deren Stufen unterscheiden sich erheblich: In Deutschland etwa gibt es 18 verschiedene Steuersätze, sie reichen von 19 bis 53 Prozent des steuerlichen Einkommens. Spanien, das bis vor wenigen Jahre noch 34 aufwies, hat inzwischen auf 16 reduziert; sie reichen von 20 bis 57 Prozent. Schweden dagegen hat seine vormals 12 Steuersätze auf mittlerweile einen einzigen beschränkt – der allerdings ist saftig hoch: 56 Prozent (mit einem Freibetrag von 23.800 Dollar).

Außerhalb Europas ist besonders Japans Fiskus höchst geldgierig: Die Besteuerung reicht von 14 bis 65 Prozent des steuerlichen Einkommens. Besonders mild gehen Singapur (2 bis 28 Prozent) und Hongkong (2 bis 20 Prozent) mit ihren Steuerbürgern um.

Das wirtschaftswissenschaftliche Institut Price Waterhouse hat über die hier angegebenen Zahlen hinaus auch noch ermittelt, wo sich Bürger mit bestimmten Einkommenshöhen am besten behandelt fühlen: Bei bis zu 30.000 Dollar Jahreseinkommen sollte man in Luxemburg oder der Schweiz leben – da bezahlt man nur 10 bzw. 14 Prozent auf das Einkommen. Deutschland rupft einen da schon mit 26 Prozent. Außerhalb Europas ist wieder mal Hongkong zu empfehlen: 2 Prozent. Wer 60.000 Dollar verdient, fühlt sich – außer wieder in Hongkong mit 8 Prozent – in Japan mit 22 Prozent gut behandelt, innerhalb Europas wiederum in der Schweiz und in Luxemburg – diesmal aber in umgekehrter Reihenfolge: Während die Eidgenossen in diesem Fall 22 Prozent einziehen, zahlt man im Benelux-Kleinstaat schon 26.

Auch bei den Gutverdienenden mit 150.000 Dollar im Jahr schneidet die Schweiz europaweit wieder am besten ab: 34 Prozent. Während Luxemburg nun mit großen Schritten zu den Groß-Abzapfern eilt und 40 Prozent verlangt. Außerhalb Europas liegen wiederum Hongkong (14), Singapur (22) und Japan (34) vorn. Deutschland liegt bei allen Vergleichen stets im oberen Mittelfeld der steuergierigen Verwaltungen.

Entsprechend den unterschiedlichen Steuerabzügen gestaltet sich dann auch das Verhältnis der Steuern zum Bruttoinlandsprodukt, das Gesamte von innerhalb eines Jahres hergestellten Produkten und ausgeübten Dienstleistungen eines Landes: In Schweden etwa steht es 50 zu 50, in Italien holt sich der Staat 42 Prozent, in Deutschland 40 Prozent, in Großbritannien 35 Prozent, in der Schweiz 34 Prozent. Und wieder liegen außereuropäische Staaten da besser: In Singapur sind es nur 16 Prozent, in den USA und Japan 18 Prozent.

Höchst unterschiedliche Besteuerungsmechanismen also, und für die Bürger auch unterschiedlicher Anlaß zum Ärger. Merkwürdige Erkenntnis jedoch: Trotz aller Unterschiede ist die Steuerzahlungsmoral nahezu unterschiedslos in allen Staaten höchst miserabel. Die von den Finanzbehörden der einzelnen Länder definitiv festgestellten Hinterziehungen liegen überall zwischen zwei und vier Prozent des geschuldeten Steuerberges, als Dunkelziffer vermuten die Experten etwa das Zehn- bis Fünzehnfache.

Feststellen können die meisten Länder jedoch, wieviel die besonders Begüterten ihrem jeweiligen Staat durch Steuerflucht in Fiskalparadiese vorenthalten: Die Quote liegt im Durchschnitt inzwischen bei über 35 Prozent. Brave Steuerzahler dagegen sind die ärmeren Schichten. Da die meisten einfachen Leute lohnabhängig sind, wird ihnen der Staatsanteil in der überwiegenden Zahl der Staaten schon von vornherein abgezogen, weiteres Einkommen haben sie in der Regel nicht. Und so kommen sie also gar nicht in Versuchung, Steuern zu hinterziehen.

Der Autor ist Fachman für Steuerrecht