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Krokodile, zum Aufbruch bereit

■ Das Kupferstichkabinett der Kunsthalle zeigt "Italienische Zeichnungen der Renaissance"

Die italienische Renaissance gilt bis heute als eine der wichtigsten Kunstepochen überhaupt. Zwischen Mailand und Venedig, Florenz und Rom wurden in kaum hundert Jahren in einer Aufwallung von Kreativität nahezu sämtliche möglichen Kunstpositionen durchgegangen. Die Hamburger Kunsthalle, traditionell mehr nach Norden und Westen als nach Süden orientiert, besitzt aus dieser Zeit keine Malerei, aber in den Schüben des Kupferstichkabinetts lagern manche selten gesehenen Schätze.

An der Schwelle zum Ruhestands hat Eckhart Schaar, seit 27 Jahren Leiter des Graphischen Kabinetts, eine gewichtige Abschiedsausstellung mit dem trockenen Titel Italienische Zeichnungen der Renaissance zusammengestellt. Von der Studie nach der Natur über den allegorischen Entwurf zur Skizze ganzer Schlachtgemälde zeigt sich in 71 Hauptblättern das breite Spektrum jener Zeit mit Künstlernamen, die bis heute guten Klang haben.

Von Andrea Mantegna über Botticelli zu Leonardo da Vinci und Michelangelo reichen die oft veränderten Zuschreibungen. Denn Zeichnungen sind meist unsigniert, sie galten als bloßes Arbeitsmaterial. Erst der Begründer der Kunstgeschichte, Giorgio Vasari, selbst als Künstler in der Auswahl vertreten, begann in der Mitte des 16. Jahrhunderts, Zeichnungen als eigenständige Werke zu sammeln.

Gleich rechts vom Eingang in die Kuppelrotunde der Kunsthalle ist mit dem Blatt „Der Hl.Stephan vertreibt den Dämon aus einer Frau“ von Fra Filippo Lippi die geistesgeschichtliche Grundhaltung der Früh-Renaissance in nuce enthalten. Das zeichnerisch angedeutete Architekturgehäuse öffnet sich und die Personen treten auf: selbstbewußt und zum Aufbruch bereit. Daß in der religiösen Handlung auch die Gegenwart gemeint ist, zeigt sich in der zeitgenössischen Tracht der Akteure, und die mittelalterliche Dämonie auszutreiben, ist dem humanistisch-rationalen Zeitgeist ein grundsätzliches Bedürfnis. Mit Silberstift auf rotgrundiertem Papier sind um 1450 solche Gedanken in formal geschlossenen Freskenentwürfen aufgehoben, bei der wenig späteren „Studie zu einem weiblichen Modell“ von Sandro Botticelli ist bereits eine androgyne Freiheit der Personendarstellung erreicht, die von zeitloser Aktualität bleibt.

Zeichnungen scheinen über die Zeit hinweg eine gewisse Nähe zum Schaffen des Künstlers zu bieten. Sie sind stilles Objekt kennerschaftlichen Genusses, aber auch unmittelbare Belege des Wandels künstlerischer Konzeptionen. In schneller Folge und regional sehr unterschiedlich verändern sich die Sichtweisen der Renaissance-Künstler in wenigen Jahrzehnten. Studien nach der Natur weichen schon ab 1500 Karikaturen und Vexierbildern, wie bei Leonardo, und entwickeln sich zu hochkomplexen Allegorisierungen, wie bei Federico Zuccaris „Verleumdung des Apelles“. Der gelehrte Manierismus versucht, Begrifflichkeiten Bild werden zu lassen, bis die Formen so überzogen und mit verborgener Bedeutung aufgefüllt sind, daß sie fast nur noch als Ornament wirken. Für seine großen, nach formalen Gesichtspunkten aufgebauten Schlachtgemälde benutzt ein Staatsmaler wie Domenico Tintoretto ein Arrangement von Holzfiguren: Was mit dem Abbild der Natur begann, ist zu einer künstlerischen Setzung geworden.

Eine neue Epoche, der Barock, wird erneut den Blick auf das natürliche Vorbild werfen und in seine rauschenden Bilder integrieren. Und so ist es fast ein kennerschaftlicher Wortwitz, daß die Auswahl mit drei Zeichnungen von Federico Barocci endet.

Hajo Schiff

Hamburger Kunsthalle, bis 23. März, Katalog: 120 S., 71 Farbabbildungen, 35 Mark

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