: Offene Tür auf dem Strich
Die bundesweit erste Anlaufstelle für Straßenkinder und Stricher, das Basis-Projekt in St. Georg, hat die ersten zehn Jahre überstanden ■ Von Elke Spanner
Wenn Radek das Stricherprojekt aufsucht, dann besucht er seine „zweite Familie“. Bei seinen Eltern war das Thema Sex tabu, schwuler Sex erst recht. In der „Anlaufstelle für männliche Prostituierte“ kann er hemmungslos aus seinem Alltag am Hauptbahnhof erzählen – von seinen Freiern, seiner Angst vor Aids, dem Leben auf der Straße. Gestern feierte das Basis-Projekt e.V., zu dem neben der Einrichtung für Stricher auch die Anlaufstelle „Kids“ für Straßenkinder zählt, 10jähriges Bestehen in seinen Räumen in St. Georg.
„Wie viele habt Ihr denn aus der Szene gerettet?“ Wird Ulrich Wellerdieck, dem Leiter des Stricherprojektes, wie so häufig diese Frage gestellt, reagiert er nur noch zynisch: „Viele sind ausgestiegen: In den Sarg, den Knast, die Kleinkriminalität.“ Er mißt den Erfolg nicht an der Ausstiegsquote, sondern an anderen Maßstäben: „Wir sind in der Szene akzeptiert, weil die Jungs hier ihre Identität als Stricher leben können.“ So kommen um die 20 Kids täglich. Als Erfolg wird verbucht, wenn mit ihnen kleine Schritte erreicht werden können; wenn ein Junge durch die Hilfe der SozialarbeiterInnen neue Zähne, einen Aufenthaltstitel oder einen Dringlichkeitsschein für eine Wohnung bekommen hat.
Viele Stricher und Straßenkids wollen gar nicht „gerettet“ werden – wie Radek zum Beispiel. Mit 31 Jahren schon ein Oldie der Szene, verbringt er seinen Alltag seit neun Jahren am Hamburger Hauptbahnhof. „Ich kenne auch die Vorteile dieses Lebens. Langweilig war es nie“, schmunzelt der Tscheche. „Erst wenn ich zu alt bin fürs Geschäft, suche ich mir einen Job.“
Radek hat allerdings leichter reden als seine Kollegen. Bevor er anschaffen ging, arbeitete der Tscheche als Koch, worauf er sich bei Bewerbungen berufen könnte. Die meisten Jungs landen jedoch ohne Schulabschluß oder Berufsausbildung auf dem Strich. Rund die Hälfte von ihnen konsumiert harte Drogen. Für sie stellt sich nicht die Frage, ob sie aus der Szene raus wollen, sondern wo sie dann einsteigen könnten. Wellerdieck: „Die Türen in ein bürgerliches Leben sind fest geschlossen.“
Neben dem Versuch, sie zu öffnen, liegt der Schwerpunkt des Basisprojektes darauf, eine Grundversorgung anzubieten: Notbetten, Duschen, Kondome, einen Treffpunkt mit anderen Kids und nicht zuletzt Beratung für alle Lebenslagen: „Wir helfen bei Problemen mit der Polizei, bei Sozialhilfeanträgen oder in aufenthaltsrechtlichen Fragen.“
Das Hauptthema in der Beratung aber ist HIV und Aids – wie schon 1986, als das Stricherprojekt mit der Aufgabe der Aids-Prävention bei männlichen Prostituierten und deren Kundschaft als bundesweit erstes dieser Art gegründet wurde. Finanziert wird es seither von der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales.
Wenn Stammgast Radek von seinen Zukunftsplänen erzählt, dann spricht er nicht von Geld oder einer eigenen Wohnung. Radek träumt von einer festen Beziehung mit einem Mann: „Dafür würde ich mit dem Strich aufhören.“
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