: „Wie weise Medizinmänner“
■ Wie nah ist Scientology der Psychotherapie? Ein Interview mit dem Bremer Psychoanalytiker Wolfgang Bradtke über Abhängigkeiten, Therapie und Sektenwesen
Scientology bietet in Bremen seit Anfang des Jahres an Sonntagnachmittagen Schnupper-Work-shops an (siehe Artikel in der taz vom 7.1.97). Viele der dort gebrauchten Idiome sind denen der Psychotherapie nicht unähnlich. (Es soll weltweit nicht wenige PsychologInnen in den Reihen der „Church“ geben.) Wir sprachen mit dem Bremer Psychologen und Psychotherapeuten Wolfgang Bradtke über Jargon und Strategie der ScientologInnen. Bradtke ist „kein Scientology-Experte“, wie er sagt, hingegen Pressesprecher des Psychoanalytischen Instituts in Bremen.
taz: ,Dianetik zum Kennenlernen' begann in Bremen mit folgender Situation: Zwei Handvoll Menschen sitzen in einem Seminar-Raum mit perfekt arrangierter Lehr-Atmosphäre. Ein Work-shopleiter erzählt an einer Tafel von unzähligen Bildern, die sich in den Köpfen seiner SeminarteilnehmerInnen angesammelt haben. Alle nicken zustimmend und fühlen sich gut verstanden.
Wolfgang Bradtke: Ein Vertrauensklima scheint hergestellt, was ja auch in der psychotherapeutischen Praxis essentiell ist. Wobei dieser Ausdruck ,Bilder im Kopf' in meinen Augen schon zielgerichtet zu sein scheint. Wenn ich ,Bilder im Kopf' sage, schließe ich die Gefühlsseite schon mal aus. Das macht den Eindruck, als werde schon von Beginn an angesteuert, was die Scientologen bereits im Kopf haben, statt zu fragen, was die Leute von sich aus mitbringen.
Im Seminar vermittelt der Workshopleiter zunächst mit allerhand Psycho-Fachtermini die Grundzüge der ,Dianetik' und pocht auf die Trennung zwischen sogenannten geistigen Eindrucksbildern und analytischem Verstand.
Daß letzteres auf rein rationales Denken abzielt, ist klar. Was genau mit geistigen Eindrucksbildern gemeint ist, ist schwer zu verstehen. Es scheint um die vorhin erwähnte Bildebene zu gehen, die natürlich sehr ansprechend ist. Jeder hat da sofort etwas vor Augen. Deshalb ist über diese Ebene auch ein sehr starker Zugriff auf die Menschen möglich. Das ist lange nicht so beängstigend, wie wenn ich Gefühle offenbaren muß.
Gefühle führt der ,Dianetik'-Seminarleiter, wenn überhaupt, als negative Emotionen ein: Diese tauchen an Stellen auf, an denen sie nichts zu suchen haben. Das klingt einleuchtend.
Das kommt natürlich vielen Leuten entgegen, weil sie Emotionen als störend erleben, die sie behindern. Das ist bei mir in der Praxis nicht anders. Der Weg in der Therapie allerdings geht dahin, sich damit auseinanderzusetzen. Es zu wollen. Wobei das Wollen natürlich auch bei unseren Patienten ambivalent ist.
Hinzu kommt bei den Scientologen das Versprechen, auf der sogenannten Lebensenergie-Skala – unten der Tod, oben die Begeisterung – nach oben zu rutschen. Verlockend.
Höherrutschen ist doch das Motto unserer Gesellschaft. Es paßt in unser gesellschaftliches Bild, möglichst rasch und ohne groß anzuecken hochzurutschen, letztlich auch, ohne eigene Persönlichkeit, ohne Ecken und Kanten zeigen zu müssen. Die Therapie ist da zunächst eher unattraktiv, weil sie erwartet, daß man sich mit allen negativen, ungeliebten Gefühlen kennenlernt. Irgendeine Form von Bereicherung spürt man erst viel später.
Schnell und bequem geht es bei Scientology ebenfalls nicht. Auf dem Weg zum ,Clear' muß das ,Auditing' gelernt werden, in sogenannten Intensiven, die zwölfeinhalb Stunden dauern: Zwei Menschen sitzen sich gegenüber, die Lernenden ,Preclears' sollen Ereignisse aus der Vergangenheit, die möglichst schmerzhaft waren oder sind, immer wieder von vorn erzählen.
Es wird eine Art hypnotischer Raum geschaffen. Dieses Wiederholen wirkt wie ein Ritual. Man wird in ein passives Gefühl geleitet, die Geschichte bekommt irgendwann eine Eigendynamik und scheint sich von mir weg zu bewegen. Und die Auditors bieten sich dann an wie weise Medizinmänner, die das mit dem ,schnipp und beendet' wegkriegen. Man könnte hier sogar Exorzismus, Teufelsaustreibung assoziieren. Ich glaube, das ist tatsächlich eine Methode, eine eigene Geschichte erstmal wie etwas Fremdes zu erleben, was dann auch ein Fremder wegnehmen kann. Das taucht auch in Träumen auf, daß man Negatives in andere Personen transferiert. Da genau aber beginnt auch das Abhängigkeitsverhältnis, weil man selber auf sich selbst keinen Einfluß mehr hat.
Abhängigkeit gibt es auch in der Psychotherapie.
Ja, es gibt eine Phase, wo eine gewisse Abhängigkeit entsteht und notwendig ist. Es stellt sich nur die Frage, ob man die Leute wieder zur Selbständigkeit zurückbringt oder ob man sie – abhängig – in ein System einbindet.
Man kann ja innerhalb von Scientology auch höherklettern, bis zum über alles erhabenen 'Operierenden Thetan'. Das gibt sicher Befriedigung.
Bestimmt kann man durch die geschaffene Struktur das Gefühl haben, Fortschritte zu machen. Aber immer nur im Zusammenhang damit, daß ich mich stärker in das System eingrabe. Man braucht immer jemanden zum Freiwerden, bis man selber in der Hierarchie aufsteigt. Das ist ein ganz klassisches Stammesdenken. Wenn jemand stabil ist, das durchhält und mit sich vereinbaren kann, kann der sicherlich ganz zufrieden und in unserem gesellschaftlichen Sinne erfolgreich leben. Nur, wenn er wirklich mal in eigene Konfliktsituationen kommt, wird er damit nicht zurechtkommen.
Interview: Silvia Plahl
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