: Scheinbare Idylle am Bodensee
■ Der Film Vater lieber Vater thematisiert ein Tabu
„Vater mag mich viel lieber als dich“, sagt die 15jährige Elsbeth zu ihrer Mutter, und wie konkret sie das meint, wird von der Mutter zwar geahnt, aber verdrängt – Elsbeth wird von ihrem Vater regelmäßig sexuell mißbraucht. Nach einem authentischen Fall hat der in der Schweiz lebende Regisseur Leopold Huber einen Film gedreht, der von heute an auch in Hamburg zu sehen ist: Vater lieber Vater läuft eine Woche lang als Erstaufführung im 3001-Kino.
Sommerferien, Postkarteneinstellungen vom Bodensee, Szenen einer scheinbar funktionierenden Vorzeigefamilie, eingekreist von soviel heiler Welt die bulimische und kontaktscheue Elsbeth – jede Kameraeinstellung, jede Geste erzählt, daß da etwas nicht stimmen kann. Und je länger der Film läuft, desto mehr wird klar: Von Anfang an kreisen die Szenen um das heimlich-unheimliche Zentrum des Films, das man von der ersten Sekunde an ahnt: um die Tat, um den erpreßten Akt zwischen Vater und Tochter.
Sehr deutlich ist dem Film der Wille anzusehen, dem Thema Kindesmißbrauch die Monstrosität zu nehmen und durch eine eindringliche und genaue Milieuschilderung zu einer ernsthaften Beschäftigung damit beizutragen. Aber dieser Wille bildet für ihn zugleich auch seine Grenze: Aus dem Bannkreis des Themas kommt Vater lieber Vater nicht heraus – es ist für den Film zu mächtig und überschattet auch noch die leisesten Szenen.
Auf jeden Fall folgt es der Filmfigur Elsbeth auch noch auf ihrer Flucht vor dem Vater. Fast zynisch wirkt es, daß es ausgerechnet ein italienischer Pizzabäcker sein muß, der sie für einige Wochen in der Großstadt die Möglichkeit wahrer Liebe ahnen läßt. Nur in einem armen, aber ehrlichen Leben findet Elsbeth Schutz vor dem Vater. Da hat Huber die Entwicklung dieser Figur mit dem Kitsch erkauft. Und den Schluß des Films erkauft er mit der Kolportage: Elsbeth wird schwanger, sie kehrt – mit Valentino, dem Italiener – zur Familie zurück, das klappt nicht, in Notwehr wird der Vater schlußendlich von Elsbeth erschossen.
Vater, Mutter, Tochter, eine Kleinfamilie am Bodensee. Das ist die Vorderseite, die der Film zeigt, und dahinter möchte er die sexuelle Ausbeutung als Rückseite zeigen. Leider aber bleibt er in dem Willen stecken.
drk
Nach der heutigen Hamburg-Premiere im 3001-Kino werden Regisseur Leopold Huber und Hamburger Initiativen an einer Infoveranstaltung zum Thema teilnehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen