Zwischen den Rillen
: Böses Blühen im Mollbereich

■ Ruckediguh, Blut ist im Schuh! Wiegenlieder von und mit Stina Nordenstam

Tss! Daß die gute Pattie Hearst eines Tages noch zum Rollenmodell für weibliche Popstars werden könnte – wer hätte das gedacht? Sie wissen schon: die amerikanische Verlegerstochter, die in den siebziger Jahren erst entführt wurde und dann plötzlich selbst mit MPi im Anschlag und Pest im Blick Banken überfiel – zur Finanzierung des revolutionären Kampfes. Die behütete Millionärstochter als steckbrieflich gesuchte Terroristin.

Und jetzt also Stina Nordenstam, die sich alle Mühe gibt, ihr Image als schwerblütige nordische Elfe in Klump zu hauen. Das fängt schon mit dem Cover ihrer neuen CD an, auf dem ein pastöser blutroter Stern prangt, und es endet in einem wahren Blutbad: zehn neuen Liedern, in denen die Schwedin ebenso viele Leute umbringt – oder sich paritätisch auch mal selbst ermorden läßt. Sogar das Backcover zeigt nicht mehr die elegische Träumerin ihres Erstlings „Memories of a color“ von 1992, sondern eine Obdachlose mit drohend-durchdringendem Blick. Das Ganze nennt sie passend „Dynamite“.

Mit ihrem zweiten Album „And she closed her eyes“ (1994) wurde Stina Nordenstam auch außerhalb Skandinaviens bekannt. Dank abgrundtief verlorener Arrangements, einer Stimme wie die junge Ricky Lee Jones und einer sagenhaft schludrigen Aussprache erwarb sie sich einen Ruf als labile Ergründerin seelischer Zustände im Mollbereich. Die Haut war sprichwörtlich dünn, und besonders froh stimmte das leidvolle Besingen scheiternder Liebe. Was aber bringt eine international halbwegs etablierte Sängerin dazu, ihre Karriere dermaßen ruppig gegen den Strich zu bürsten? Langeweile? Sekundärer Masochismus? Selbstüberdruß?

Vermutlich ist „Dynamite“ eine Bußübung für Stinas musikalische Leiche im Keller. Die heißt „Ask The Mountains“ und erschien im letzten Jahr als gemeinsame Single mit – es hilft nichts, es muß gesagt werden: Vangelis. Was zuvor anrührend wirkte, hier kippte es um in Getue. Schon fies: Ein doofer Kumpel, und auf einmal bis du Sally Oldfield. Da helfen jetzt nur noch Bratzgitarre und Mörderlyrics.

Eine gute Wahl. Auf „Dynamite“ pflückt Nordenstam die Blumen des Bösen mit derart formvollendeter Grazie, daß eine Nico oder ein Jim Morrison sich gleich in sie verlieben müßten. „Until you bleed. Until you cry. Until you hurt as much as I“ („Until“) – die einst geduldig Leidende kehrt die Rollen um, und ist es nicht immer wieder schön, dieser Art von Coming-out zu folgen? Böse, oh so böse sein? Prinzessin der Dunkelheit spielen, in verschiedenen Schattierungen von Schwarz zu schwelgen, selbstredend nicht ohne immer wieder Reste der guten Kinderstube aufblitzen zu lassen?

Denn natürlich weiß auch Frau Nordenstam, daß Pattie Hearst bloß kurz den Furor der Revolution verbreitete und bald darauf nur noch als pathologisches Muster („Identifikation mit dem Aggressor“) vorgeführt wurde. Nein, Stina Nordenstam bricht auch in ihrer Rage nicht ganz mit der Vergangenheit, ihre Violas und Celli sind ebenso mit von der mörderischen Partie wie eine wirkungsvoll eingesetzte übersteuerte E-Gitarre, mulmig grummelnde Baßläufe und diverse metallische Gimmicks.

Nordenstam veranstaltet ihren Horrortrip nicht als Schreioper oder als Mitternachtsblues. Mehr zirpt sie, als daß ihre Stimme laut würde inmitten des Getöses. Mit doppeltem Effekt: Die verstörende Wirkung dieser Musik beruht darauf, daß die Taktfrequenz irgendwo kurz unter der des Herzschlags liegt. Diese Verlangsamung zügelt und steigert zugleich die Spannung. Das Grauen ist eine eingefrorene Bewegung, wie unter einsetzender Narkose wahrgenommen. So funktioniert etwa das Lied von der kindlichen Mörderin Mary Bell zugleich als eine Art Wiegenlied und als Bloßlegung ihrer Morde. Kunst als Surfen auf dem kathartischen Moment.

Gewiß, nichts wirklich Neues unter der Sonne der Tradition. Nordenstams Texte lassen sich als späthippieske Drogen- und Schauerromantik lesen, deren Bezug auf gewisse Nachtseiten des 18. und 19. Jahrhunderts mittlerweile zu den ganz gut erforschten Bereichen der Popkulturgeschichte gehören. Der Schlaf der Vernunft gebiert halt wieder mal ein paar Ungeheuer.

Die Bildlein zu sich kommen läßt man aber doch ganz gern. Und manche sind schon sehr apart. Etwa: „Forgetting you is like breathing water“ („Dynamite“). Oder in „This time, John“, dem brutalsten Text, der Ankündigung eines Mordes: „This time, John, you'll make it. Your film is on rewind.“ Reinhard Krause

Stina Nordenstam: „Dynamite“ (Eastwest)