: Selig bei der Denkmalpflege
■ Ohne ABM-Kräfte würden die Englische Kirche am Zeughausmarkt und St. Johannis in Altona niemals so schön restauriert Von Ruth Hoffmann
Charly ist selig. Vier Jahre hat er rumgehangen, die Tage versoffen, die Nächte durchgemacht. Mit abgebrochener Berufsausbildung ist es auch für 24jährige fast aussichtslos, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Seit kurzem ist Charly allerdings wieder zuversichtlicher. Er hat Arbeit, wenn auch nur für ein Jahr: „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“ (ABM) heißt das Zauberwort für seinen befristeten Wiedereinstieg ins Arbeitsleben.
Jeden Morgen um kurz vor sieben geht er zur Englischen Kirche am Zeughausmarkt und arbeitet mit seinen Kollegen an der Renovierung des Gebäudes. Wände verputzen, Farbe anrühren, Pinsel reinigen – alles Dinge, die er vorher nie gemacht hat, weil es dem Arbeitsamt nicht immer gelingt, für die beantragten AB-Stellen Leute mit den gefragten Fähigkeiten zu finden. Dennnoch geben diese Arbeiten Charly das längst vergessene Gefühl, gebraucht zu werden.
Seit vier Jahren arbeiten hier Handwerker zwischen 20 und 55 Jahren, die vom Arbeitsamt als „schwer vermittelbar“ eingestuft wurden, weil sie verschuldet, obdachlos, drogen- oder alkoholabhängig sind oder durch jahrelange Arbeitslosigkeit den Anschluß in ihrem erlernten Beruf verpaßt haben. Jetzt stehen sie auf dem Gerüst und verleihen dem ehrwürdigen Gebäude unter fachkundiger Anleitung sein ursprüngliches Aussehen.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Von außen erinnert nichts mehr an die schweren Kriegsschäden der 1838 erbauten Kirche. Die Risse im Putz wurden beseitigt, das marode Mauerwerk zum Teil erneuert. Auch das Innere erstrahlt wieder in seinem ursprünglichen, klassizistischen Weiß. Mitte dieses Jahres soll auch das letzte Kapitell fertig vergoldet sein. Alles in allem „eine vorbildliche denkmalpflegerische Maßnahme“, lobt das Amt für Denkmalschutz.
Betreut und geleitet wird das Projekt von der Firma „Arbeit und Lernen Hamburg“ (alh). Alh ist eine GmbH, deren Anteile jeweils zur Hälfte vom Berufsfortbildungswerk des DGB und von der Arbeiterwohlfahrt gehalten werden. „Wir waren selbst erstaunt über das tolle Ergebnis“, gibt Wilfried Büntzly von alh zu. „Schließlich arbeiten hier fast nur Leute, die ungelernt sind oder denen einfach die nötige Praxis fehlt. Na, und Denkmalschutz ist für alle was völlig Neues.“
An eben diesen Schwierigkeiten setzt das Konzept von alh an: Ein Arbeitsloser, der hier seine ABM-Stelle antritt, kann sich unter Aufsicht von Fachkräften praktisch weiterbilden und erhält außerdem im regelmäßig stattfindenden Unterricht die theoretische Basis dazu. Darüber hinaus gehört auch Bewerbungstraining zum Lehrprogramm. Zum Schluß gibt es für all das ein Zertifikat. Charly kann sich dann mit Fug und Recht „denkmaltechnischer Helfer“ nennen.
Um den Teufelskreis aus Selbstzweifeln, Drogen und Schulden zu durchbrechen, in den viele Arbeitslose geraten, beschäftigt alh sieben Sozialpädagogen, die sich der psycho-sozialen Probleme der Arbeiter annehmen: „Manche wirkten wie mißhandelte Kinder, als sie hier anfingen“, erinnert sich Manfred Dondrup, denkmaltechnischer Experte des Projekts. „Aber durch die sichtbaren Ergebnisse ihrer Arbeit und die Betreuung faßten sie wieder Mut.“
Auch die 1873 erbaute Johanniskirche in Altona wird derzeit von alh saniert. Seit einem halben Jahr arbeiten hier 24 ABM-Kräfte mit den unterschiedlichsten Biographien. Heinz W.(58), ledig, arbeitet bereits seit 1962 auf dem Bau. Der Job in der Kirche war auch nach einem Jahr Arbeitslosigkeit für ihn nie ein Zeichen des Aufbruchs aus der Hoffnungslosigkeit. Für seine Zukunft sieht er schwarz: „Ich bin zu alt, mich will keiner mehr.“ Der gelernte Werkzeugmacher Said aus dem Iran ist optimistischer. Seit einem Jahr schlägt er in St. Johannis den Putz von den Wänden. Nach einem Jahr vergeblicher Arbeitssuche ist er „heilfroh“, wieder etwas Sinnvolles zu tun.
Ziel der Arbeit ist es, die eigentliche Sehenswürdigkeit der Kirche freizulegen: Die schönen roten, teilweise lasierten Ziegel, die seit 40 Jahren unter Putz lagen. Bei der Arbeit stieß man auf Wandmalereien, die jetzt von Restauratoren konserviert werden. Auch an diesem Projekt sind Männer beteiligt, für die viele der anfallenden Arbeiten völlig neu sind. Jeder, der hier beginnt, muß angelernt werden, geht nach einem Jahr, nämlich nach Ablauf seiner ABM-Zeit, aber wieder. „Neulich haben hier 15 neue Leute angefangen“, stöhnt der Ausbildungsmeister und Polier Heinz Matthies, „und keiner hatte einen Gesellenbrief! Ein bißchen mühsam ist das schon.“
Die Mühe allerdings lohne sich. Das zumindest glaubt Heinz Fuhrmann von der alh. Die „Erfolgsquote“, Fälle, in denen Ex-ABMler unbefristete Arbeiten fanden, habe 1994 bei fast 40 Prozent gelegen. Zwar machte auch Meister Matties die Erfahrung, daß die Absolventen wegen ihrer „vielseitigen Fähigkeiten“ bei Firmen durchaus gern gesehen seien. Doch finden weit über die Hälfte keinen Job. Den meisten Männern, die jetzt in der Englischen Kirche Kapitelle vergolden oder St. Johannis vom Putz befreien, droht also erneut die Arbeitslosigkeit. Und doch stehen ihre Chancen, mit dieser Situation fertigzuwerden und sogar irgendwann eine Anstellung zu finden, erheblich besser als vor ihrem Start bei alh. Denn sie haben – neben dem Zertifikat – noch etwas anderes bekommen, was mindestens ebenso wichtig ist: Neues Selbstvertrauen.
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