: Fiktion und Wirklichkeit, jaja
■ Anselm Weber inszeniert Woody Allens Stück „Gott“ als Late Night am Schauspielhaus
Jacques Ullrich ist Gott. Das mag zwar, wer Jacques Ullrich in der Vergangenheit gesehen hat, befremdlich finden, bislang war der Schauspieler eher auf kleinere Rollen festgelegt. Aber so haben es die beiden unfehlbaren Theaterinstanzen, so hat es Woody Allen als Autor des Stückes Gott und so hat es die Besetzungskonferenz um den Regisseur Anselm Weber eben festgelegt. Und so geschah es. Dabei ist Jacques Ullrich nicht nur irgendein Gott, er ist der Gott der Götter: Jacques Ullrich ist Zeus.
Ob das allerdings in Woody Allens Karikatur des antiken griechischen Theaters eine erstrebenswerte Rolle ist, darüber läßt sich streiten. Im Grunde beschränkt sie sich darauf, in der Mitte des Stückes während einer Art Generalprobe auf einem seltsamen Fluggerät recht beeindruckend als Deus ex machina aus dem Theaterhimmel einzuschweben – zu den Klängen des Walkürenrittes, versteht sich –, im entscheidenden Moment aber bei der Wiederholung des Kunststücks zu versagen und sich in den Schnüren der Theatermaschine-rie elendig aufzuhängen. Weshalb dann Siggi Schwientek in der Rolle des Diabetes sagen kann: „Gott ist tot.“ Daß es Siggi Schwientek gelingt, den Satz so zu sprechen, als würde er zum erstenmal gesagt, ist übrigens keine geringe Leistung.
Überhaupt, Siggi Schwientek! In manchen Szenen erinnert er an einen etwas kindlichen, leicht pennerhaften, vor allem ganz und gar unironischen Woody Allen: Er spricht jeden Satz mit den großen Augen und der Ernsthaftigkeit dessen, der alles vorbehaltlos glaubt, was man ihm erzählt, und dabei zappelt und grimassiert und stottert er, daß es eine Freude ist. An ihm liegt es bestimmt nicht, daß die Anselm-Weber-Inszenierung von Woody Allens Stück Gott, die Freitag als Late Night spätabends im großen Haus des Schauspielhauses Premiere hatte, kein ganz großes, kein allumfassende Lachhysterie stiftendes Fest des Witzes wurde.
Woran liegt es denn? Nun, das Ensemble um Gustav Peter Wöhler, Burghart Klaußner und Inka Friedrich gibt sein Bestes, aber während Schwientek alle Regeln des Theaterspielens einfach anarchistisch über den Haufen wirft, zeigen die anderen das Handwerk wie aus dem Lehrbuch – sehr gekonnt, auch lustig, keine Frage, aber eben auch etwas langweilig. Dazu sieht man dem Stück die 22 Jahre, die es inzwischen auf dem Buckel hat, mittlerweile an. So überraschend ist es eben nicht mehr, wenn Zuschauer von ihren Sitzen aufstehen und sich als Schauspieler erweisen; wenn die Figuren keine Lust mehr haben, in dem Stück mitzuspielen, und den Weg Richtung Kantine einschlagen; wenn eine Figur behauptet, Dramenautor zu sein und das gerade anwesende Theaterpublikum erdacht zu haben. Pirandello, Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit, jaja (aber eine ganze Reihe guter Witze und Sketche enthält das Stück natürlich trotzdem).
Anselm Weber hat Woody Allens Späße getreulich umgesetzt, ein bißchen weniger Können und ein bißchen mehr Hinterfotzigkeit wäre wohl besser gewesen. Aber wer sind wir denn, daran zu mäkeln? Die Aufführung ist immerhin – und das ist schließlich auch nicht wenig – zu einer amüsanten Abendunterhaltung mit gelegentlichen Brüllern geworden, zu einem vorbehaltlos zu empfehlenden unverbindlichen Spaß. Und eines ist nach dieser Inszenierung sicher: Siggi Schwientek mag zwar nicht Gott sein, aber wenn er Gott wäre, ginge es uns allen besser. An ihn wollen wir uns halten!
Dirk Knipphals
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