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Reifen rotten nicht

■ Zur Herstellung eines einzigen Reifens braucht man 35 Liter Öl. Auch Runderneuerte sind sicher und werden inzwischen auch von Fachleuten empfohlen

Das Ende einer Reifenlaufbahn kommt unweigerlich bei 1,6 Millimetern. Spätestens. Denn weniger Restprofil darf es nach den gesetzlichen Vorschriften nicht sein. Alte runter, neue drauf – aus den Augen, aus dem Sinn: Rund 600.000 Tonnen Altreifen von Pkw und Lkw fallen jährlich in der Bundesrepublik an. Ein mächtiger Gummiberg, dessen umweltgerechte Entsorgung bislang nicht gewährleistet ist. Synthetischer und Naturkautschuk, Stahldrähte, Ruß, verschiedene Ölchemikalien und Textilgewebe ergeben zusammen einen Reifen – und sind in dieser Mischung so gut wie unverrottbar.

„Wir müssen die Recyclingquote erhöhen“, fordert deshalb Gerd Lottsiepen vom Referat für Verkehrspolitik beim Verkehrsclub Deutschland (VCD) und setzt dabei vor allem auf die Runderneuerung. „Doch bei den Autofahrern muß dafür erst noch ein Bewußtsein geschaffen werden.“ Deutschlands Autofahrer kaufen in der Regel lieber neue Autoreifen. 1995 brachten allein die 14 Reifenhersteller im Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie 711.000 Tonnen Neureifen auf die Straße. Die Anhänglichkeit der Autofahrer in Sachen Neureifen entstammt einem alten Vorurteil: „Gebrauchte“ Reifen wären nicht sehr sicher. „Wir haben keine Vorbehalte mehr gegen runderneuerte Reifen“, erklärt dagegen Peter Hinze, Testleiter Auto bei der Stiftung Warentest. Die Autofahrer unterliegen nämlich einem Irrtum: Runderneuerte Reifen sind nur insofern gebraucht, als daß der Unterbau mit dem Stahlgeflecht, die sogenannte Karkasse, wiederverwendet wird. Der Reifen wird bei der Runderneuerung bis zum Unterbau abgeschliffen und frisch beschichtet. Die Gummisohle und damit auch das Profil sind neu.

Im Vergleich mit Neureifen hätten, so Hinze, die recycelten gut abgeschnitten. „Als Winterreifen sind sie immer zu empfehlen. Doch auch bei den Sommerreifen ist die Schnellaufsicherheit gut geworden.“ Natürlich ist die Qualität abhängig von der Sorgfalt, mit der diese Reifen bearbeitet wurden. Ein runderneuerter Reifen ist nur so gut, wie sein Unterbau bereits bei Beginn seiner Karriere als Neureifen verarbeitet wurde. Deshalb schafft auch kaum ein Billigreifen die zweite Runde.

Rund 105.000 Tonnen Altreifen wurden 1995 nach Angaben der deutschen Kautschukindustrie runderneuert. Das spart nicht nur Deponieraum, sondern hat auch einen rohstoffschonenden Aspekt: Während für die Herstellung eines Neureifens rund 35 Liter Rohöl benötigt werden, reduziert sich der Rohölbedarf bei der Runderneuerung laut einer Broschüre des Fachinformationszentrums Karlsruhe und der Jury Umweltzeichen auf 5,5 Liter. Ein weiterer Vorteil: der Preis. Zwischen 30 und 40 Prozent kostet ein runderneuerter Reifen weniger als ein neuer.

Dennoch ist die Wiederverwertung nur ein Aufschub vor dem endgültigen Aus: Die Belastung, der ein Pkw-Reifen beim Fahren ausgesetzt ist, sei so hoch, „daß ein Reifen nur einmal runderneuert werden sollte“, heißt es beim VCD und bei Stiftung Warentest übereinstimmend. So eignen sich auch nicht alle Reifen für eine weitere Nutzung. Rund 70 Prozent aller Altreifen sind nach der Jury Umweltzeichen bereits nach dem ersten Durchgang (im Durchschnitt hält ein Reifen zwischen 30.000 und 35.000 Kilometer) so weit abgenutzt und beschädigt, daß sie nicht mehr für die Runderneuerung in Frage kommen. Anders bei Lkw-Reifen: Sie können, da mit ihnen unter anderem nicht sehr schnell gefahren wird, bis zu siebenmal wiederverwendet werden.

Die Jury Umweltzeichen vergibt ihren „Blauen Engel“ seit 1978 auch für runderneuerte Reifen. Zusammen mit dem RAL-Gütezeichen, das dafür garantiert, daß der Reifen nicht älter als sechs Jahre ist, nur einmal erneuert wurde und keine Beschädigungen oder Reparaturen aufweist, wird damit für die Qualität des Runderneuerten garantiert. Dafür, daß die bundesdeutschen Deponien nicht durch Altreifen überquellen – immerhin landen rund 23.000 Tonnen pro Jahr auf dem Müll –, sorgen vor allem die Zementfabriken. Sie verfeuern jährlich über 210.000 Tonnen Altreifen. Reifen entwickeln im Brennofen in einer festen Feuerwand eine gleichbleibende Hitze zwischen 1.000 und 1.200 Grad Celsius. Gefährliche Rückstände soll es bei dieser „thermischen Verwertung“ angeblich keine geben: Die Luftreinhaltungsverordnungen würden eingehalten, erklärte die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der SPD-Fraktion. Der in den Reifen enthaltene Stahl und Ruß soll sogar ideal sein als Beiwerk für den Zement.

Rund 35.000 Tonnen werden zudem in bundesdeutschen Kraftwerken verbrannt, etwa 40.000 Tonnen laut einer Erhebung der deutschen Kautschukindustrie zur thermischen Verwertung exportiert. Doch sei es wenig sinnvoll, „ein aufwendig produziertes Gut einfach zu verbrennen“, so der VCD. Deshalb dürfe die thermische Verwertung wirklich nur der letzte Gang der Reifen sein. „Sie zu zerhäckseln und etwas Neues daraus zu machen, ist schwierig, weil sie aus vielen verschiedene Komponenten bestehen“, weiß man auch beim VCD.

Das Gemisch aus diversen Gummisorten, Ruß, Stahl und Ölchemikalien läßt sich nur mit hohem Aufwand wieder trennen. Die Reifen müssen in ihre Hauptbestandteile zerlegt und das Gummi dann so fein zerkleinert werden, daß ein körniges bis fast mehliges Granulat entsteht. Rund 75.000 Tonnen Gummimehl entstehen so im Jahr, aus denen unter anderem elastische Beläge für Sportstätten und Kinderspielplätze, sogenannte „flüsternde Bahnübergänge“ oder hygienische Matten für Naßbereiche in Brauereien, Molkereien oder Labors entstehen. Gummigranulat wird in Deutschland jedoch nur zu einem kleinen Teil auch in Fahrbahndecken eingearbeitet. Ralf Ansorge

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