: Ausländer als Zielscheibe in Ruanda
Hilfsorganisationen in Ruanda erwägen Rückzug nach einem blutigen Angriff von Hutu-Milizen. Seit der Rückkehr der ruandischen Hutu-Flüchtlinge aus Zaire häufen sich Gewaltakte ■ Von Dominic Johnson
Berlin (taz) – Die Mörder kamen nach Einbruch der Dunkelheit, gegen 20 Uhr. Sie klopften an das Tor des Geländes der Hilfsorganisation „Médecins sans frontières“ (MSF). „Unsere ausländischen Mitarbeiter haben aber nicht aufgemacht“, sagt eine MSF-Sprecherin. Die Gruppe zog weiter zum nächsten Grundstück, zu „Médecins du monde“, und erhielt Zugang. Drei spanische Mitarbeiter der französischen Hilfsorganisation, zwei Männer und eine Frau, bezahlten für das Hereinlassen der unbekannten Gäste, die um die Papiere der Spanier baten, mit dem Leben: Sie wurden durch Kopfschüsse getötet. Nach Angaben eines anwesenden US-Amerikaners erschossen die Angreifer ihre Opfer, als sie Schüsse von draußen hörten. Er selbst versteckte sich hinter einem Tisch und überlebte schwer verletzt. Die britische Hilfsorganisation „Save the Children“ war das nächste Ziel der Killer. „Soweit kamen sie aber nicht“, berichtet eine Sprecherin. „Die Armee war schon angerückt.“
So spielte sich nach Aussagen der Beteiligten der Angriff einer etwa zehnköpfigen Trupppe von Hutu-Milizionären auf ausländische Hilfsorganisationen im ruandischen Gatonde am Samstag abend ab. Gatonde liegt bei Ruhengeri, im Nordwesten Ruandas, unweit der Grenze zu Zaire. Auch Zivilisten sollen bei dem Angriff getötet worden sein. Beim Gegenangriff der von Tutsi dominierten Armee entwickelte sich ein 90minütiges Feuergefecht, bei dem drei Soldaten starben.
Es war der blutigste Angriff von Hutu-Milizen auf Ausländer in Ruanda, seitdem diese Milizen nach Ende des von ihnen verübten Völkermordes 1994 nach Zaire flohen. „Diese Leute wurden hingerichtet“, sagte Javier Zuniga, Leiter des UN-Menschenrechtsbeobachterteams in Ruanda, der Nachrichtenagentur Reuter.
In den letzten Monaten sind etwa eine Million ruandische Hutu-Flüchtlinge aus Zaire und Tansania, wohin sie nach dem von Hutu-Gruppen verübten Völkermord 1994 geflohen waren, nach Ruanda zurückgekehrt. Seitdem hat sich die Sicherheitslage in Ruanda, wo seit 1994 die von Tutsi dominierte „Ruandische Patriotische Front“ (RPF) regiert, dramatisch verschlechtert, da mit den Rückkehrern auch die Milizionäre zurückkamen, die sich zuvor in den zairischen Flüchtlingslagern auf eine Rückeroberung Ruandas vorbereitet hatten.
Nach Armeeangaben wurden allein in den zwei Wochen nach Weihnachten 1996 etwa 50 Menschen bei Angriffen von Hutu-Milizen getötet – in allen Landesteilen. 21 Tote zählte allein die Region um Ruhengeri; fünfzehn Menschen starben beim Angriff auf eine Bar nahe der Hauptstadt Kigali; und am 5. Januar ermordeten Milizionäre in der südruandischen Stadt Gitarama sieben Kinder. Am selben Tag töteten Hutu- Extremisten eine Zeugin des UN- Tribunals zum Völkermord in Ruanda zusammen mit ihrer Familie.
In der letzten Woche weiteten die Milizen ihre Angriffe auf ausländische Organisationen aus. Am Montag wurde eine Gruppe von UN-Beobachtern zusammengeschlagen und bedroht, am Dienstag wurde ein UN-Fahrzeug beschossen. Ein ruandischer Geheimdienstler sagte: „Diese Angriffe werden gezielt unternommen, um Ausländer zu verschrecken. Hutu-Milizen glauben, daß sie unsichtbar agieren können, wenn sie sich der Ausländer entledigen. Wir sind uns bewußt, daß diese Leute nun innerhalb des Landes agieren, weil sie es nicht mehr außerhalb tun können.“
Gestern trafen sich Vertreter aller in Ruanda arbeitenden Hilfsorganisationen in Kigali, um Konsequenzen aus der Attacke zu beraten. Die „Médecins du monde“ verkündeten ihren Abzug aus Ruanda. Die anderen haben ihre Aktivitäten um Ruhengeri suspendiert. Die „Médecins sans frontières“ wollen mit der Regierung über „die Sicherheit der ausländischen Mitarbeiter“ sprechen.
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