■ Daumenkino: Unter Brüdern
Geschichten ungleicher Brüder besitzen eine lange Tradition. Brüder sind immer zugleich Gegner und Verbündete. Ob sie Karamasoff oder McMullen heißen – sie ergeben immer den Modellfall einer dramatischen Konstellation. Was jeder einzelne von ihnen auch tut, immer verschiebt sich das Ganze. Brudergeschichten können auch bei der größten Divergenz nicht auseinanderfallen. Wie unter dem Vergrößerungsglas bilden sie ein bewegliches System von Herrschaft und Unterdrückung, von Loyalität und Verrat. Und Brüder sind ein zutiefst filmisches Motiv, weil sie die Zeit sichtbar machen.
„Unter Brüdern“ von Buddy Giovinazzo ist ein Versuch in Kleinstadtrealismus, der sich redlich bemüht, den Weg in die Psyche seiner Figuren zu finden. Er beschränkt sich auf ein Brüderpaar: Joey Larabito (Tim Roth) ist als Kind auf den Kopf gefallen und gehört seither zu den Getretenen statt zu den Tretenden. Er kommt aus dem Gefängnis in sein ehemaliges Elternhaus zurück, in dem jetzt sein älterer Bruder Tommy (James Russo) mit seiner schönen, aber schon weit ins eheliche Tal der Desillusionierung gegangenen Frau Lorrain lebt. Tommy ist herrisch, egozentrisch, ein überforderter Kleindealer, der auch mal Oregano statt Gras vertreibt. Joey, ruhig und geduldig, bricht die Verkrustungen der Gegenwart auf und reist in die Vergangenheit (Fotoalben, Zeichnungen, Ex-Verlobte). Doch Giovinazzo verläßt sich allzusehr auf die einfachen Kontraste. Und mag sein, daß die Parallelmontage die formale Konsequenz aus Brudergeschichten ist: Hier wird sie überstrapaziert. Hannes Klug
„Unter Brüdern“. Regie: Buddy Giovinazzo
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