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Vom Rinderwahn zu Creutzfeldt-Jakob

■ Die BSE-Geschichte: Seit 1981 verbreitet sich der veränderte Erreger der Schafkrankheit Scrapie unkontrolliert unter Tieren und infiziert auch Menschen

Viele Wege führen zum Rinderwahn. Der sicherste ist die Fütterung mit Scrapie-infiziertem Tierkörpermehl. Scrapie ist eine Hirnkrankheit, die seit 250 Jahren bei Schafen auftritt, für Menschen aber wahrscheinlich ungefährlich ist. Auch Kühe, die mit Tierkörpermehl aus Schafkadavern gefüttert wurden, steckten sich zunächst nicht an. Das änderte sich 1981. Damals vereinfachte die Futtermittelindustrie aus Kostengründen das Herstellungsverfahren und senkte die Temperaturen. Fortan überlebte der Erreger nicht nur, sondern er veränderte sich.

Vom Rind, das ebenfalls als Tierkörpermehl endet, sprang er durch orale Infektion auf Menschenaffen, Nager, Antilopen, Ziegen, Nerze und Katzen über – und wieder zurück auf Schafe. Diesmal jedoch nicht als Scrapie, sondern als BSE. Durch Injektion ins Hirn ließ sich der Erreger – vermutlich infektiöse Eiweiß-Prionen – mühelos auf sämtliche Säugetierarten übertragen. Und vor einem Jahr räumten britische Wissenschaftler ein, daß Menschen durch den Verzehr von BSE-Fleisch eine neue Variante der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit bekommen können.

Wenn der Erreger nur durch den Verzehr von verseuchtem Fleisch oder Tierkörpermehl übertragen würde, wäre die Krankheit längst ausgerottet. Doch obwohl die britische Regierung die Fütterung von Wiederkäuern mit Tierkörpermehl 1990 verbot, sind seitdem Tausende Kälber erkrankt, die erst nach dem Fütterungsverbot geboren wurden. Im Londoner Zoo starben ein Orynx und ein Kudu, zwei Antilopenarten, die nie mit Tierkörpermehl in Berührung gekommen waren. Aber ihre Mütter waren an BSE eingegangen. Der Chefveterinär des Londoner Zoos, Charles Kirkwood, sagte damals zur taz: „Die einzige Erklärung ist die vertikale Übertragung von der Mutter auf das Kalb.“

Auch für die horizontale Übertragung gibt es inzwischen Beweise: In Island, wo Scrapie unter Schafen weit verbreitet ist, sperrte man eine Weide drei Jahre lang. Danach ließ man eine garantiert Scrapie-freie Schafherde auf die Weide – und siehe da: Innerhalb weniger Monate grassierte Scrapie. Daraufhin machte ein Forschungsteam unter dem Wissenschaftler Sigurdar Sigurdarson ein Experiment. Man füllte Gras und Heu aus den Ställen in einen Trichter und bestrahlte ihn von oben mit hellem Licht. Da Milben, die in Heu und Gras leben, lichtscheu sind, flüchteten sie nach unten und fielen in einen Wasserbehälter. Das Wasser wurde gefroren, zerhäckselt und Mäusen injiziert. Die Mäuse bekamen Scrapie. Unter den Milben verbreitete sich BSE durch Kannibalismus. Und auch bei zwei britischen Hühnern sind jetzt die typischen BSE-Symptome aufgetreten. Letzte Gewißheit werden aber erste weitere Untersuchungen geben.

Und beim Menschen? Offiziell sind bisher vierzehn Menschen an einer BSE-verwandten Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestorben, doch es gibt mit Sicherheit eine Dunkelziffer, da in einigen Verdachtsfällen gar keine Autopsie vorgenommen wurde. Die Inkubationszeit beträgt zehn bis fünfzehn Jahre. Welche Dosis des Erregers nötig ist, um sich anzustecken, weiß man nicht. Fest steht, daß die größte Gefahr in Großbritannien bis 1989 bestand: Bis dahin gelangten auch Rinderhirne, innere Organe und Rückenmark, wo sich die Erreger konzentrieren, in die Nahrungskette. Hamburgerketten haben sogar bis 1991 Hirn als Bindemittel verwendet.

Für ältere Menschen gibt es eine gute Nachricht: Wer vor 1981, als BSE aufkam, Scrapie-infiziertes Schaffleisch gegessen hat, ist wahrscheinlich gegen BSE immun. Darauf deuten jedenfalls erste Untersuchungen hin. In den nächsten ein bis zwei Jahren wird sich erweisen, ob sich die neue Variante der Krankheit auf „einige wenige Pechvögel“ beschränken wird, wie James Ironside vom staatlichen Creutzfeldt-Jakob-Überwachungszentrum in Edinburgh prophezeit hat, oder ob sie zur Epidemie wird. Ralf Sotscheck

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