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Kichererbsen werfen

■ Nichts zu lachen? Lachen verlernt? / Vera Menzen leitet Lachseminare

Ist es ein Zufall, daß ihre Pressefotos nicht nur ein ungemein lachendes Clownsgesicht zeigen, sondern auch Verzweiflungsspuren? Nein, das ist kein Zufall. Das liegt am Leben. Wer den Jammer nicht kennt, kann auch nicht lachen. Jedenfalls nicht so. So glucksend, von ganz tief unten aufsteigend, vom zuckenden Zwerchfell zerschlagen und durch den weitgeöffneten Mund herausgestoßen, daß die Wände wackeln. So ein Lachen gibt's nicht umsonst. Das will erkämpft sein, dem Elend abgetrotzt.

Vera Menzen hat genug bezahlt, noch immer Schulden und jederzeit Lust, mit ihrem Lachen Leute anzustecken. Deshalb bietet sie seit einem Jahr „Lachseminare“ an. Ein Lachseminar ist zum Beispiel eine Veranstaltung der Volkshochschule Osterholz-Scharmbeck/Hambergen, ein Wochenende, 155 Mark, bequeme Kleidung und eine Decke sind mitzubringen. Zu Lachseminaren kommen alle möglichen Menschen, zum Beispiel: ein Mann nach dem Schlaganfall; Mittvierziger, die sagen, sie hätten das Lachen verlernt; ein Vater mit seiner volljährigen Tochter; ein als Witzbold bekannter Schüler; ein kleiner dicker Techniker, der eigentlich Clown werden wollte.

Es geht beim Lachseminar darum, die Bedingungen dafür herzustellen, daß sich das allen innewohnende Lachen befreien kann, was manchmal weh tut, aber es gibt ja Hilfsmittel. Kichererbsen zum Beispiel, oder ein sogenanntes „Narrenbrot“. Oder alle legen sich Kopf an Kopf im Kreis auf den Boden und seufzen. Seufzen, was das Zeug hält. Seufzen sich allen Kummer gegenseitig in die Ohren, und nach zehn Minuten wackeln die Wände vom Gelächter.

Manchmal weint es auch hier und da, man weiß auch nicht immer vorher, was aufsteigen wird aus der Tiefe des Bauchraums: ein Lachen oder ein Weinen. Physiologisch liegt das nah beieinander: das Zwerchfell bewegt sich in beiden Fällen reflexartig und konvulsivisch, wenn möglich im Herzrhythmus. Beides tut gut, und dann wird auch noch massiert und angemalt und rumgehopst und stiergleich gebrüllt, und irgendwann fühlen sich die Lachseminaristen so frei, über wichtige Sachen zu reden.

„Der befreite Mensch lacht 50 mal am Tag, er kann über einen Vogel lachen, der von einem Zweig auf den anderen hüpft.“ Sie neigt gern auch dem Fernöstlichen zu, die Vera Menzen (Jahrgang '46), die in einem Hexenhaus im Wald bei Sottrum wohnt, mit ihrer Tochter, drei Katzen und einem Hund. Seit 13 Jahren nennt sie sich „Clownesse Antonja“, seit dem Tag, als sie endlich das wurde, was sie schon als Kind sein wollte: Clown. Die Mitschüler damals in Bochum hätten sich „bepißt“, erzählt sie, wenn sie Jürgen von Manger imitierte oder am Barren zwischen den Aufschwüngen Ringelnatz rezitierte. Sie tanzte gern, machte Musik, mit Macht zog es sie zur Bühne. Das aber gerade war leider völlig ausgeschlossen.

Vera Menzen nämlich war eine „höhere Tochter“. Genaueres über ihre „Kaste“ und ihr Elternhaus möchte Vera Menzen nicht in der Zeitung stehen sehen, nur Andeutungen: Es sei eine „abartige Kindheit“ gewesen, die Mutter habe sich im Dienst an „diesem Mann“ aufgerieben und sei „früh abgekratzt“. Genug Finsternis jedenfalls, um allzeit bange zu sein, ob man es schafft, „auf die Lichtseite zu kommen“.

Eine Lehrerausbildung kam, ein Mann, dem sie die Kinder aufzog, sieben Jahre an einer Schule in Hemelingen. Nichts war das Richtige. Das Richtige war, als Vera Menzen mit 35 und einer dreijährigen Tochter, aber ohne Geld zum Bremer Freiraum Theater ging. Dort sagte ihr der Clowns-Lehrer Jürgen „JüMü“ Müller-Othzen, daß sie Clown werden müßte, und es tat ihr unendlich gut, daß ihr mal einer sagte, was sie schon immer wußte.

Vera Menzen malte sich das Gesicht an, kostümierte sich und stellte sich mit der Geige auf den Marktplatz. Wenn genug Geld im Geigenkasten lag, gab es „was zum Fressen“ für sich und die Tochter (wie sie mangert!). Sie absolvierte die Schule der Straße erfolgreich. Heute mangert und hüpft „Antonja“ auf Silberhochzeiten, Tagen der offenen Tür im Naturmöbelladen oder im Autohauses rum, mal im Kindergarten, mal im Frauenhaus, gegen ein Honorar, das auch mal „wat Leckeres“ erlaubt.

Daß das Lachen mal aufhören könnte, kommt ihr nicht in den Sinn. Im Gegenteil, Vera Menzen gedenkt, ihr Lachen Krankenhäusern und wissenschaftzlichen Kongressen anzubieten, die Not ist groß genug. Man könnte glatt die Welt verändern. „Ich bin ja von der Generation her ein 68er,“ erwähnt sie, „was ich mache, ist eine Revolution, nur die Leute merken es gar nicht.“ BuS

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