: Musik wie weißes Licht
■ Das Ausatmen komponieren: Arvo Pärt versus Mozart – ein imaginärer Dialog im Kammermusiksaal der Philharmonie
MusikerInnen sind das Sprachrohr der Komponisten. Sie müssen einen Zugang zum Werk finden und es aufführen, ansonsten bleibt die Komposition die Laune eines verkannten Genies. Arvo Pärt, der estnische Wahlberliner, hat in dieser Stadt jemanden gefunden, der seinem Werk immer wieder zu einer Plattform in der Öffentlichkeit verhilft: Andreas Peer Kähler – Gründer und künstlerischer Leiter des Kammerorchesters Unter den Linden. „Mit Pärt ist die moderne Musik aus ihrem Elfenbeinturm herausgekommen. Er hat den Mut zur klaren, einfachen Aussage.“
Einzelne Skalen und Dreiklänge sind die Essenz in Pärts Stücken. Er setzt sie tief, beruhigend und weich in die Welt. Töne, die gehalten werden, bis sie sich auflösen. Es ist intelligente musikalische Meditation, die dem unverschnörkelten, unbarocken, nackten Sein auf der Spur ist und es in der Stille findet. Pärt vergleicht seine Musik mit dem Atem. Jahrelang wurde nur eingeatmet, er aber komponiere das Ausatmen.
Gerade die Einfachheit der Kompositionen, so Andreas Peer Kähler, ist die wirkliche Herausforderung, denn auf sie wird man nicht vorbereitet. „Wie man sich einem einzelnen nackten Ton gegenüber verhält, das sagt niemand. Bei Pärt kommt es nicht mehr nur auf die Frage, was gespielt wird, an, sondern auf das Wie.“
Beim neuesten Projekt des Kammerorchesters werden Pärts Kompositionen in einen imaginären musikalischen Dialog mit Werken von Mozart gebracht. Auf den ersten Blick eine gewagte Verbindung. Die spartanische Musik des Komponisten vom Ende des 20. Jahrhunderts scheint meilenweit entfernt von der verspielten Leichtigkeit der Kompositionen Mozarts, dessen Werk es an InterpretInnen nicht mangelt.
Dabei gab Pärt selbst den Anlaß zu diesem Experiment. Sein Stück „Adagio“ ist eine Mozart-Bearbeitung, in der er sich die Aufgabe stellte, Mozart-Zitate mit seiner eigenen musikalischen Sprache korrespondieren zu lassen, ohne diese zu vereinnahmen. Denn vereinnahmen will Pärt auf keinen Fall. Mozart nicht und auch nicht das Publikum. „Ich könnte meine Musik mit weißem Licht vergleichen, das ja alle Farben in sich hat. Nur ein Prisma kann die Farben trennen und sichtbar machen, der Geist der Zuhörenden könnte dieses Prisma sein.“
Bleibt die Frage, wo sich Mozart und Pärt treffen. Vielleicht darin, daß beide Schmerz heilen und Freude bereiten wollen. „Pärt mußte durch verschiedene Phasen, verschiedene Formen des Unglücklichseins, um zu dieser Einfachheit zu gelangen“, so Kähler. Die wirkliche Herausforderung, die sich demnach in dieser Musik verbirgt, ist das Leben selbst. Waltraud Schwab
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen