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Bach, Jazz und Pferdeoper

■ „The Canadian Brass“ spielte Montagabend in der Kirche „Unser lieben Frauen“ Kirche

Turnschuhe mit bunten Schnürbändern zum hochseriösen Anzug? Die Mode war doch schon Ende der 80er Jahre passe, aber die fünf Bläser von „The Canadian Brass“ scheren sich wenig um Zeitgeist und Trends. Wer weiß, vielleicht haben sie sogar selber diese Kleiderordnung vor 27 Jahren entwickelt – genauso wie das Bläserquintett mit zwei Trompeten, Horn, Posaune und Tuba, denn vor ihnen spielten solche Besetzungen höchstens mal Blasmusik auf dem Jahrmarkt.

Beim musikalischen Einmarsch der Band durch die Stuhlreihen der Kirche mit einem zünftigen Dixieland-Stimmungsmacher konnte man also schon an der Bühnenkleidung der Musiker erahnen, woraus das Erfolgsrezept des Quintetts gestrickt wurde: Europäische klassische Musik nicht allzu ernsthaft serviert und vermischt mit traditionellem Jazz: der klassischen Musik Amerikas. Mehr bekamen viele Zuhörer von den Musikern auch kaum zu sehen, denn vor dem Altar saßen die Bläser so niedrig, daß die Sicht etwa von der zehnten Reihe der fast ausverkauften Kirche an von den Kopfreihen der vorne Sitzenden versperrt wurde. So war zwar die Atmosphäre sehr feierlich und die Akustik so gut, daß man auch die wenigen Unsauberkeiten im Spiel peinlich genau hören konnte; aber es blieb das Ärgernis, daß etwa die Hälfte des Publikums gutes Geld für schlechte Plätze bezahlt hatte.

Das Konzert begann mit der majestätischen Blasmusik des englischen Komponisten William Boyce, die unwillkürlich Assoziationen an Ivanhoe und König Arthus weckte. Also mit dem idealen Soundtrack für einen Ritterfilm. Der Gegenpol dazu war die Pferdeoper am Schluß des Konzerts: eine gnadenlos alberne Parodie auf Westernfilme, in der sich die Musiker mit Cowboyhüten sowie Halstüchern verkleideten, und ihre Instrumente wie Revolver um den Finger wirbelten. Zum Schluß überlebte nur der Fremde in Schwarz, der sein Horn am schnellsten ziehen konnte.

Das Pflichtprogramm mit der reinen E-Musik wurde relativ schnell in der ersten Konzerthälfte bewältigt, mit je einer Komposition von Bach und Mozart und einem temperamentvoll jubilierenden Stück von Giovanni Gabrielli. Bei diesem verteilten sich die Musiker in den Gängen (der Tubaspieler setzte sich sogar ins Publikum) und bliesen einzelne Tonfolgen in verschiedene Richtungen, wodurch unterschiedliche Klangwirkungen entstanden. Das Stück hatte also auch ein räumliches Arrangement.

Aber am meisten Ehrgeiz und Spielfreude zeigten die fünf Musiker, wenn sie die festen Regeln der E-Musik hinter sich lassen konnten. So etwa bei dem kurzen Jazzstandard vor der Pause, in dem Jens Lindemann so hoch und schnell spielte, daß er mit seiner Trompete wie die Klarinette in einer traditionellen Combo klang. Ein wenig zu glatt und konventinell war dagegen das Medley mit den „Greatest Hits“ aus Bernsteins „West-Side-Story“. Jeder Bläser durfte dabei einmal die Singstimme spielen, und daß dann ausgerechnet Charles Daellenbach auf der Tuba „I feel pretty“ spielte, war nicht halb so witzig, wie er selber es in der sehr langen Einführung angekündigt hatte. Seine Ansagen in kokett radegebrochenem Deutsch wurden zwar mit vielen Lachern belohnt, aber hier erwies sich der Humor der Band oft als enttäuschend hausbacken. Wirklich witzig war es aber, wenn sie in einer Zugabe das Halleluja von Händel respektlos mit „When the Saints go marching in“ verwursteten. Da wurde das Erfolgsrezept von „The Canadian Brass“ genau auf den Punkt gebracht.

Wilfried Hippen

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