: Finanzminister kommt als Christkind und wird dann zum Beelzebub
■ In der Arbeitsmarktdebatte des Bundestags boten Regierung und Opposition nichts Neues – nur Kohl sagte noch weniger
Bonn (taz) – Monatelang hatte sich Bundeskanzler Helmut Kohl vor einer Regierungserklärung zur Arbeitslosigkeit gedrückt. Ausgerechnet jetzt, wo in seiner Regierung die Luft brennt, mußte er dann doch ran. Er wirkte gestern fahrig und ungewohnt gereizt.
Kohl räumte ein, daß die Zahl der Arbeitslosen in diesem Jahr nicht unter durchschnittlich 4,1 Millionen sinken werde. Ausführlich rechtfertigte er die Arbeitsmarktsituation damit, daß in den letzten Jahren immer mehr Frauen und Ausländer auf den Arbeitsmarkt gedrängt seien. So hätten von den drei Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen in den alten Ländern zwischen 1983 und 1992 zwei Millionen Frauen profitiert. Fast eine Million Aussiedler habe seit 1988 einen Arbeitsplatz angestrebt. Am Ende seiner Rede, in der er immer wieder gereizt auf Zwischenrufe reagiert hatte, rief Kohl die Opposition versöhnlich zu einem „Wettstreit der Ideen“ für die Reformen des Steuer- und des Rentensystems auf.
SPD-Parteichef Oskar Lafontaine machte aber deutlich, daß er gewillt ist, die Schwäche der Regierung auszunutzen. „Entweder die Steuerreform kommt am 1. Januar 1998, oder sie können sich das ganze Projekt abschminken“, sagte der saarländische Ministerpräsident unter großem Beifall seiner Partei. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Besteuerung der Schichtarbeitszuschläge werde die SPD auf jeden Fall verhindern. Letztere bezeichnete er als „hirnrissig“. Der gut aufgelegte Finanzminister Theo Waigel spießte diese Bemerkung unter großem Gelächter seiner Parteifreunde auf. Er erinnerte daran, daß der hamburgische SPD-Bürgermeister Henning Voscherau selbst zur Besteuerung von Nacht- und Sonntagsarbeit geraten hatte und fügte hinzu: Er verwahre sich dagegen, daß Lafontaine einen geachteten Kollegen wie Henning Voschereau derart beleidige.
Grünen-Sprecher Joschka Fischer warf der Bundesregierung vor, die Bevölkerung mit der Steuerreform täuschen zu wollen. Vor der Wahl verspreche sie eine Steuererleichterung und hinterher sammele sie das Geld bei den niedrigen und mittleren Einkommen wieder ein. An Finanzminister Waigel gewandt sagte er: „Erst erscheinen sie als Christkindl und verwandeln sich dann zum Beelzebub.“ Anders als Lafontaine erklärte sich Fischer bereit, über die Besteuerung von Sonntags- und Nachtarbeit zu diskutieren. Die Grünen könnten dabei aber nur dann mitmachen, wenn gleichzeitig die Einkommensstarken konsequenter besteuert würden. Markus Franz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen