: Die Opposition wird bankrott geklagt
13 Millionen Mark soll Singapurs Regierungskritiker Tang Liang Hong bezahlen. Sein Anwalt und Parteifreund will das verhindern. Doch die Chancen dafür stehen schlecht: Der Prozeß ist politisch ■ Aus Singapur Jutta Lietsch
Joshua Benjamin Jeyaretnam hat keine Zeit für das verabredete Gespräch. „Ich muß ganz schnell rüber ins Gericht,“ sagt er und sucht auf seinem Schreibtisch eilig Dokumente zusammen. „Kommen Sie später wieder.“
Jeyaretnam, 71jähriger Rechtsanwalt und bekanntester Oppositionspolitiker Singapurs, steht an diesem Tag vor einem besonders heiklen Fall: Hohe Regierungspolitiker – darunter Premierminister Goh Chok Tong und dessen mächtiger Vorgänger Lee Kuan Yew – wollen seinen Parteifreund Tang Liang Hong wegen „Diffamierung“ verklagen. Sie drohen mit Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe.
Stunden später ist der Anwalt immer noch nicht in seine Kanzlei im neunten Stock eines Geschäftshauses gegenüber dem Gericht zurückgekehrt. Es ist ein bescheidenes Büro, an der fensterlosen Seite des Flures zwischen Anwaltsbüros- und Versicherungsvertretungen gelegen.
Kein Sonnenstrahl kann hier hereindringen. Schlichte Resopalschreibtische und angestoßene Möbel, eine Regalwand voller juristischer Wälzer und Aktenhefter, davor gestapelte Plastikhocker für größere Versammlungen – Jeyaretnams Anwaltspaxis ist offensichtlich kein Raum für Repräsentationszwecke.
Doch das Büro ist auch keinesfalls der Arbeitsplatz eines verbiesterten Mannes: Vor seine juristischen Bände hat er einen Rotweinführer geklemmt. Van Goghs Sonnenblumen und eine Hafenlandschaft zieren die Wand, und hinter dem Schreibtisch blicken die Karikaturen zweier britischer Anwälte mit der traditionellen Puderperücke und sardonisch hochgezogenen Augenbrauen auf die Besucher hinab.
Als Jeyaretnam schließlich durch die Türe kommt, ist er stark besorgt: Das Gericht hat seinen Antrag auf Aufschub der Verfahren gegen Tang abgelehnt. Die Verteidigung muß deshalb bereits am nächsten Tag gegen die versammelte Macht der von den Regierungspolitikern beauftragten Anwälte antreten. Falls die Gerichte – wie so oft in früheren Fällen – im Sinne der Regierungspolitiker urteilen werden, muß Tang mit Forderungen von umgerechnet bis zu 13 Millionen Mark rechnen.
Anlaß der juristischen Attacke gegen den 61jährigen Anwalt Tang: Vor ein paar Jahren soll er der Regierung vorgeworfen haben, englischsprachig ausgebildente Bürger bei der Vergabe von wichtigen Posten chinesischsprachig erzogenen vorzuziehen, sie von wichtigen Posten fernzuhalten. In Singapur, wo neben Malaien und Indern mehrheitlich Chinesen leben, sind solche Äußerungen heikel. Denn sie können – zumindest nach Ansicht der Regierung – zur „Störung des harmonischen Zusammenlebens“ führen.
Als Tang im Januar gemeinsam mit Jeyaretnam für die oppositionelle Workers Party (WP) kandidierte, warf Premier Goh ihm vor, ein „chinesischer Chauvinist“ zu sein. Das stritt Tang ab – und beschuldigte seinerseits die regierende People's Action Party, ihn zu verleumden. Das wiederum faßten die Regierungspolitiker als schwere Beleidigung auf – und verklagten ihn.
Die Methode der Regierung, unliebsame Oppositionelle – und selbst ausländische Kritiker – mit Prozessen und hohen Geldforderungen einzuschüchtern, ist für Tangs Verteidiger Jeyaretnam wohl vertraut. 1990 hatte ein Gericht ihn wegen „Verleumdung“ des damaligen Premierministers Lee verurteilt. „Ich mußte mehr als eine Million zahlen“, sagt der weißhaarige Mann und lächelt schmerzlich.
Der Vorsitzende der sozialistischen Workers Party hat eine bewegte Karriere hinter sich: 1981 gelang es ihm als erstem Oppositionspolitiker, ins Parlament zu kommen, in dem die Abgeordneten der Regierungspartei seit Mitte der sechziger Jahre ungestört unter sich gewesen waren.
Fünf Jahre lang war der eloquente Mann mit den aufmüpfigen Koteletten, die bis unters Kinn reichen, die einzige kritische Stimme in der offiziellen Politik Singapurs – einer, der sich unbeirrbar für Meinungs- und Gedankenfreiheit aussprach und es wagte, den autokratisch regierenden Premierminister Lee Kuan Yew zu kritisieren. 1986 verlor er sein Mandat. Begründung: Er habe falsche Angaben über die Finanzen seiner Partei gemacht. Ein Jahr konnte er nicht als Rechtsanwalt praktizieren. Trotz aller Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Urteile durch internationale Juristen, durfte der in Ceylon geborene Politiker „wegen mangelnder Eignung“ auch bei den Präsidentschaftswahlen 1993 nicht kandidieren.
In den dreißig Jahren ihrer Herrschaft haben Staatsgründer Lee Kuan Yew und sein Nachfolger Goh es wirkungsvoll vermocht, sich und ihre Partei als einzige Hüter des Wohlstandes in dem Drei- Millionen-Land darzustellen. Wer die Regierung kritisiert, so hämmern es die kontrollierten Medien der Bevölkerung seit Jahrzehnten ein, gefährde die Stabilität Singapurs.
Die Regierung hat sich in den letzten Jahren allerdings nicht nur auf Warnungen verlassen, um Regierungskritiker und unbotsame Wähler unter Kontrolle zu halten: Wer nicht hören will, muß das „Interne Sicherheitsgesetz“ fürchten, das es den Behörden erlaubt, Dissidenten ohne Gerichtsverfahren zwei Jahre lang einzusperren. Und dann gibt es noch die Gefahr der teuren Verleumdungsklagen. „In Singapur herrscht ein Klima der Angst“, sagt Jeyaretnam.
Dabei war die Stabilität des Landes oder der Regierung in den vergangenen Jahrzehnten nie gefährdet. Die kleine und zersplitterte Opposition konnte niemals hoffen, die Mehrheit zu gewinnen. Ihr größter Erfolg war 1991, als sie vier von insgesamt einundachtzig Sitzen eroberte.
Bei den Wahlen am 2. Januar schafften es nur zwei Gegenkandidaten ins Parlament. Jeyaretnam und Tang konnten in ihrem Wahlkreis zwar 45 Prozent der Stimmen holen, verloren aber. Trotzdem könnte Jeyaretnam in die „Volksvertretung“ einziehen: Die Verfassung gewährt dem Verlierer mit der höchsten Stimmenzahl ein Mandat – mit begrenztem Stimmrecht – wenn die Opposition weniger als drei Sitze erlangt.
Vielleicht aber wird die Regierung es diesmal doch wieder schaffen, den alten Kämpfer fernzuhalten. Ende vergangener Woche haben Premier Goh Chok Tong und zehn weitere Politiker der Regierungspartei auch gegen Jeyaretnam Verleumdungsklagen eingereicht – wegen einer kritischen Äußerung vor der Wahl. Wird er zu einer höheren Geldstrafe verurteilt, verliert er automatisch seinen Abgeordnetensitz.
Jeyaretnam hat „oft daran gedacht, endlich in den Ruhestand zu treten“. Er will trotzdem weitermachen. „Es gibt so viele Leute, die das von mir erwarten.“
Dann drängt er höflich zum Ende des Gesprächs: Er muß noch die Verteidigungschrift für Tang aufsetzen. „Wenn ich nicht so an meinen politischen Überzeugungen hinge“, sagt er beim Abschied, „dann wäre ich heute reich. Aber ich besitze nichts.“
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