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Aus der Stadt der Selbstgespräche

■ Neu im Kino: „Taxi Lisboa“ von Wolf Gaudlitz / Eine 80-Minuten-Kur gegen das Fernweh

Einige Dutzend Schnecken, ein Jongleur, ein „Expatriierter“, zwei junge Frauen, ein Pizza-Bäcker, eine Stadführerin und – vor allem – ein fast hundertjähriger Taxifahrer: Damit ist das Personal aus Wolf Gaudlitz' neuem Film „Taxi Lisboa“ beinahe vollzählig versammelt. Doch was ist schon eine Aufzählung? Denn bekanntlich ist es die Komposition, auf die es ankommt. Und darauf, daß in diesem Film mit Lissabon eigentlich eine Stadt die Hauptrolle spielt – eine Stadt, in der es eine Straße mit dem Namen „Gasse der Selbstgespräche“ gibt.

Als Augusto Macedo, der greise Taxifahrer mit dem sonnengegerbten und faltigen Gesicht, nach Lissabon kam, sah er zum ersten Mal „Waggons, die ohne Pferde fuhren“.

Es war das Jahr, in dem Oliveira Salazar die Macht über das Land und die Stadt an sich zu ziehen begann. Und es war das Jahr, in dem irgendwo in weiter Ferne eine Limousine vom Typ Oldsmobile „vom Band“ lief. Vielleicht wollte Augusto Macedo schon als junger Mann zur Legende werden – jedenfalls kaufte er die Limousine mit dem Baujahr 1928, und er fährt damit noch heute durch die verwinkelten Gassen der portugiesischen Metropole oder wartet in der alten Unterstadt, dem Chiado, auf Fahrgäste.

Das Leben, eine Reise – nur bei den Geschwindigkeiten gibt es große Unterschiede: Wenn sich der deutsche Filmessayist Wolf Gaudlitz ein Projekt in den Kopf setzt, dann nimmt er sich viel Zeit. Für „Gezählte Tage“, das 1994 fertiggestellte Portrait des Ex-Bürgermeisters von Palermo, Leoluca Orlando, hat er zunächst italienisch gelernt und am Schauplatz gelebt, um ihn richtig kennenzulernen. Erst nach Fertigstellung des Films wechselt er das Tempo, organisiert den Verleih und die Werbung selbst und tingelt dann von Stadt zu Stadt, um auf sein Werk aufmerksam zu machen. So geschah es bei den „Gezählten Tagen“, und so geschieht es bei „Taxi Lisboa“.

Eine Reise, kein Ankommen. Gaudlitz' Lissabon ist ein groß gewordenes Dorf am Rande Europas, in dem man strandet und – hängenbleibt. Im Lauf der Jahre ist es möglich, daß sich die Gestrandeten kennenlernen. Aber genauso möglich ist es, anonymer Passant in einer Großstadt zu bleiben. In einer klug komponierten Bilderfolge aus Brüchen und direkten Anschlüssen findet Wolf Gaudlitz eine Filmsprache für diesen Schwebezu-stand: Wie in einem stellenweisezerrissenen Netz fügt er Interviews und kurze szenische Sequenzen zusammen, schafft einfach zufällige Bekanntschaften, schildert enge Beziehungen und sorgt mit fellinesk-surrealisti-schen Einschüben von springendenGläsern o-der rätselhaften Graffiti für eine untergründige Irritation. In aller Seelen- oder besser Schneckenruhe entfaltet Gaudlitz sein Kaleidoskop von der Stadt und den Menschen und kuriert mit erfrischend einfachen und zugleich detailliert gesetzten Mitteln für rund 80 Minuten von jedem Fernweh.

Christoph Köster

Premiere von „Taxi Lisboa“ am heutigen Mittwoch um 20.30 Uhr im Kino 46. Regisseur Wolf Gaudlitz und die Teamkollegin Leonore Mau sind anwesend. Film ab Donnerstag im Kino 46 und im Cinema

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