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■ SchlaglochWarum die Linke nicht mit der PDS koalieren darf Von Klaus Kreimeier

„Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen einigen Anschauungen, die aus der Kommunistischen Plattform kommen, und den Bestrebungen des Generalsekretärs der CDU, Hintze.“

Gregor Gysi im Gespräch

mit „Freitag“-Herausgeber

Günter Gaus

Es ist schon eine Crux, daß es in diesem Land keine brauchbare Linke gibt. Ein gescheiter Anwalt, der den rechten Pfarrer Hintze und seine eigene pseudolinke Pfäffin Wagenknecht mit einem Augenzwinkern auf den gemeinsamen Nenner bringt, ist allemal für eine gelungene Pointe in den Medien gut. Linke Politik freilich ist das noch nicht, zumal einem bei diesem Gysi ständig der „Notar“ im Wege steht, der er nicht gewesen sein will und der doch – nach jeder neuen Häutung und jeder noch so alert formulierten Gegendarstellung – immer wieder zum Vorschein kommt. Der „Notar“ ist Gysis Schatten – und jeder Versuch, ihn endlich loszuwerden, gleicht ihn, der in punkto Brillanz unter den zeitgenössischen deutschen Politikern nicht seinesgleichen hat, immer mehr dem düsteren Peter Schlemihl der deutschen Romantik an, der mit seinem Schatten auch seine Seele an den Teufel verlor. Verständlich, daß dieser Mann mit dem Rückzug ins Privatleben liebäugelt, der für ihn und sein Seelenheil zweifellos ein Gewinn, für seine Partei eine Katastrophe, für eine neue linke Politik jedoch zumindest kein Verlust, eher eine unumgängliche Voraussetzung wäre.

Immer deutlicher zeigt sich, daß die Zerschlagung der kommunistischen Utopie durch Hitler nur die eine Seite des deutschen Desasters in diesem Jahrhundert, ihre Verwirklichung auf deutschem Boden aber die andere, gewiß weniger blutige, doch nicht minder verhängnisvolle war. Es ist, moralisch gesehen, unerträglich, bei gelassener Betrachtung aber einfach nur grotesk, daß keine acht Jahre nach dem Ende der DDR deren Schrumpfbataillon, garniert mit einem eloquenten Rechtsanwalt und ein paar Figuren, die der Öffentlichkeit das Schauspiel demokratischer Läuterung präsentieren, den Anspruch erheben kann, für die Deklassierten und Entrechteten dieser Gesellschaft einzustehen und ihre Notlagen authentisch zu artikulieren. Daß ostdeutsche Bürgerrechtler unter dieser schiefgewickelten Konstruktion physisch und psychisch leiden, ist politisch einleuchtend und menschlich nachvollziehbar. Daß sie, nach der Devise „Wenn schon, denn schon“, gleich zur CDU überlaufen, ist natürlich ein Jammer, bei Licht besehen jedoch nichts anderes als ein Resultat anhaltender Ödnis und durchschlagender Alternativlosigkeit in der politischen Restlandschaft.

Ein neues Nachdenken über eine menschenwürdige Ordnung der Dinge kann nur ohne und gegen die PDS als politische Formation gelingen; es ist unmöglich, mit der linken Reaktion die rechte zu bekämpfen. Die Prozentrechnerei der Koalitionskrämer und Duldungsakrobaten in der Sozialdemokratie verwischen diese einfache Wahrheit, und der schwindelerregende Eiertanz, den Jürgen Trittin, zwischen Wörlitzer Erklärung und Erfurter Kreis jonglierend, aufs Parkett gelegt hat, sowie sein Lamento gegen „Abgrenzung“ und „Unvereinbarkeitsbeschluß“ lassen befürchten, daß auch bei den Grünen das machttechnokratische Kalkül dem politischen Wissen und Gewissen davongelaufen ist.

Die PDS sei für viele in den alten Bundesländern „etwas Fremdes“, ein Ding, „wovor die Menschen Angst haben“, so Gysi. Seine Phantasie reicht offenbar nicht soweit, daß er sich Wessis vorstellen kann, die seine Truppe schlicht und einfach für einen verlorenen Haufen halten und das Gerede seiner Führer über soziale Gerechtigkeit und politische Freiheiten bestenfalls als lächerlich, vor allem aber als bodenlos unverschämt empfinden. Das Recht, seiner Partei zu mißtrauen, billigt Gysi „nur denjenigen“ zu, die „auch schon damals“ – vor dem Zusammenbruch des sozialistischen Realismus – „eine starke gefühlsmäßige Antihaltung gegen die DDR hatten“. Muß man ihn daran erinnern, daß dies immerhin die überwältigende Mehrheit der Bürger in der alten Bundesrepublik gewesen ist? Erstaunlicherweise zieht Gysi wie auch sein Gesprächspartner Gaus in diesem Zusammenhang die alte Kampfformel vom „irrationalen Antikommunismus“ aus der Mottenkiste der 50er Jahre. Aber wir leben nicht mehr in den Zeiten von Dulles und Berija. Und überhaupt: Was ist eigentlich an diesem Antikommunismus so irrational gewesen? Bis heute hat die orthodoxe Linke nicht verstanden, daß nicht Dulles, sondern Iossif Dschugaschwili mit seinem Anhang von der Geschichte widerlegt wurde.

Möglicherweise hat Gysi verdrängt, daß auch ein beträchtlicher Teil der westdeutschen Linken von 1968 nicht nur von einer „gefühlsmäßigen Antihaltung gegen die DDR“ erfüllt war, sondern die menschenfeindliche Farce, die von Ulbricht als Sozialismus im Reifezustand ausgegeben wurde, mit guten Argumenten in Grund und Boden kritisiert hat. Spätestens mit dem Einmarsch sowjetischer (und deutscher) Truppen in Dubčeks Tschechoslowakei schieden sich die Geister. Unsere Sympathien und Gedanken galten den Bürgerrechtlern in Prag und Warschau, Bahro und Biermann, der Charta- Bewegung und den streikenden Arbeitern in Gdansk, und nicht erst die regelmäßige erkennungsdienstliche Behandlung am Übergang Bahnhof Friedrichstraße, samt Leibesvisitation und dümmlichen Verhören, mußte uns daran erinnern, daß die Staatssicherheit uns genauso liebgewonnen hatte wie der bundesdeutsche Verfassungsschutz. Aus der sprichwörtlichen Weisheit seines Vereins schöpfend, hatte Kurt Hager uns als „linksradikale Helfershelfer des BRD-Imperialismus“ ausgemacht. Ich wünsche ihm einen geruhsamen Lebensabend, aber daß ich seinen versprengten Regimentern Sympathien entgegenbringe, wird er ebensowenig wie Gregor Gysi erwarten dürfen.

In einem von uns „selbst nicht bemerkten Prozeß“ sollen wir im Westen die PDS allmählich lieben, zumindest aber akzeptieren lernen, verriet Gysi Günter Gaus. Das könnte ihm so passen. Die Menschen im Osten wie im Westen möchten doch, bitte sehr, mitentscheiden, ob und von wem und zu welchem Zweck sie eine Gehirnwäsche mit sich vornehmen lassen sollten.

Die Erfahrungen der SED-Reste und der westdeutschen Linken sind nicht kompatibel. Beide haben ihre Federn lassen müssen, aber eine Verbrüderung ist schon darum nicht denkbar, weil der Phantomschmerz auf der einen mit dem auf der anderen Seite nicht vergleichbar ist. Gysi wird sich damit begnügen müssen, Jonglierkünstler wie Jürgen Trittin zu becircen – seine Wähler kriegt er darum noch lange nicht. Bleibt also einstweilen nur zu hoffen, daß das konservativ-liberale Kartell so schnell zerfällt, daß SPD und Grüne gezwungen sind, ein gemeinsames Konzept zu entwickeln, das inhaltlich stärker überzeugt als das wahlarithmetische Petting mit der PDS. Bis dahin mag Frau Wagenknecht weiterhin die roten Socken stricken, mit denen Pfarrer Hintze so freudig erregt herumschmeißt. Sollen doch die Prediger unter sich bleiben.

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