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Premiere: Atommüll entgleist

■ Eisenbahnzug mit 180 Tonnen hochradioaktiver Brennelemente macht sich an der saarländischen Grenze selbständig. Er war auf dem Weg zur englischen WAA Sellafield

Berlin/Apach (taz) – Beim Transport von hochradioaktivem Müll deutscher Produktion ist es zum erstenmal zu einem gravierenden Unfall gekommen. Kurz hinter der deutsch-französischen Grenze entgleiste gestern morgen ein Zug, der drei Behälter mit zusammen 180 Tonnen Atommüll aus dem AKW Lingen in Richtung England transportieren sollte. Da der Zug an der Grenze zwischen dem Saarland und dem französischen Lothringen mit niedriger Geschwindigkeit fuhr, kippte er nicht um. Die drei Transportbehälter blieben dicht. Es wurde keinerlei Radioaktivität freigesetzt. „Es hätte auch schlimmer, es hätte zur Freisetzung von Radioaktivität kommen können“, kommentierte gestern der Greenpeace-Atomexperte Helmut Hirsch das Unglück. Hirsch sieht in dem Unfall „eine ernsthafte Warnung“. Denn mit Atommüll beladene Züge fahren mit Geschwindigkeiten von bis zu 100 Kilometer pro Stunde durch die Lande.

Der gestern morgen um 6.31 Uhr in der lothringischen Ortschaft Apach entgleiste Atommüllzug war nach Angaben der Deutsche Bahn AG in Saarbrücken mit maximal 30 Stundenkilometern unterwegs. Er sollte im französischen Grenzbahnhof Apach einen planmäßigen Zwischenstopp einlegen. Ursache des Unfall war wahrscheinlich der Bruch eines Gleises. Möglicherweise war der Unterbau der Schienen an der Unfallstelle schadhaft und gab unter dem Gewicht der jeweils 90 Tonnen schweren Atommüllbehälter nach. Da die Bahnstrecken vor Atommülltransporten nicht eigens kontrolliert werden, kann sich nach Auffassung von Greenpeace ein ähnlicher Unfall jederzeit erneut ereignen. Transportiert wurden die für die WAA Sellafield bestimmten Brennelemente in britischen Behältern des Typs „Execellox Nr.6“. Für diese englischen Behälter gelten die gleichen Sicherheitsanforderungen wie für den deutschen Castor. Sie müssen einen Aufprall mit 45 Stundenkilometern auf ein starres Hindernis und einen Brand von einer halben Stunde unbeschadet überstehen. Greenpeace verlangte gestern deswegen erneut, die gefährlichen Brennelementetransporte sofort zu stoppen. „Eine Katastrophe, bei der im Umkreis von sechs Kilometern evakuiert werden muß, ist nicht ausgeschlossen, wenn ein Behälter bei einem Bahnunfall gegen einen Brückenpfeiler oder einen Felsblock prallt“, sagte Helmut Hirsch. Der Forderung nach dem Stopp aller Brennelementetransporte mit der Bahn schloß sich auch die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn an. Der saarländische Umweltminister Willy Leonhardt will den Atommüll künftig auf dem direkten Seeweg nach England transportiert sehen. Die BI Lüchow-Dannenberg wies darauf hin, daß erst am Montag der Lokführer eines Castor-Transports von Krümmel nach Sellafield einen Schwächeanfall erlitten habe. Die BI forderte, den geplanten Sechsertransport von Castor-Behältern nach Gorleben abzusagen.

Der Unfall von Apach ist nicht der erste Zwischenfall dieser Art. Erst vor zwei Wochen entgleiste – von der Öffentlichkeit fast unbemerkt – ein unbeladener Castor- Waggon vor dem schleswig-holsteinischen Atomkraftwerk Krümmel. Beim Rangieren waren zwei Räder des Waggons auf den vereisten Schienen vom Gleis abgekommen. Die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW), Betreiber des Atommeilers, hatten den Beinahe-Unfall tagelang geheimgehalten, das Kieler Energieministerium sich für nicht zuständig erklärt. Jürgen Voges

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