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Umweg über sicheres Drittland

Angst treibt die Atomtransporteure um: Castor-Züge fahren 600 Kilometer Umweg, damit sie nicht Hamburger oder Niederländer ärgern  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Gut 24 Stunden nach dem ersten Unfall bei einem bundesdeutschen Atommülltransport stand gestern morgen auch der letzte der in Lothringen entgleisten Güterwagen wieder auf den Schienen. Ein Spezialkran der französischen Eisenbahn SNCF setzte gegen sieben Uhr den dritten der drei Transportwaggons im Bahnhof Apach wieder aufs Gleis.

Weiterfahren durfte der Zug mit den drei je 94 Tonnen schweren Atommüllbehältern des Typs Excellox allerdings bis zum Nachmittag noch nicht. Die französischen Bahntechniker hatten noch nicht geklärt, ob die drei Spezialwaggons mit 180 Tonnen abgebrannten Brennelementen aus dem AKW bei Lingen überhaupt noch fahrtüchtig waren. Weiter untersucht wurde gestern auch noch die genaue Ursache des Unfalls vom Dienstag morgen. Die französische Eisenbahn sieht immer noch einen Gleisbruch trotz der niedrigen Geschwindigkeit des Zuges durch Überlastung der Schienen als wahrscheinliche Ursache des Unglücks. Sabotage schließt sie als Unfallursache definitiv aus.

An einen Rücktransport der drei Atommüllbehälter, die je 3,2 Tonnen Uran plus hochradioaktive Spaltprodukte enthalten, in Richtung Bundesrepublik dachte gestern niemand. Der Zug soll von der Unfallstelle aus, wie ursprünglich geplant, nach Dünkirchen fahren. Dort sollen die drei Behälter auf ein Spezialschiff umgeladen werden, das sie über den Ärmelkanal nach Großbritannien zur WAA Sellafield bringt.

Warum die Atommülltransporte nach England stets einen Umweg von 600 Kilometer über das Saarland und Lothringen machen, ist inzwischen geklärt. Nach Angaben der Geschäftsführung der Nukleare Transportleistungen GmbH (NTL), die die England- Transporte plant, verweigern Belgien und die Niederlande dem bundesdeutschen Atommüll die Durchreise. Bemühungen, die Atommülltransporte durch die Benelux-Staaten zu fahren, seien vor drei Jahren schon im Vorfeld gescheitert, sagte der NTL-Sprecher. Auf eine inoffizielle Anfrage hin habe man von den entsprechenden Stellen eine Absage erhalten.

Auch über die norddeutschen Häfen lassen sich der NTL zufolge die England-Transporte nicht abwickeln. Dort fehlen zum einen die entsprechenden Verladekräne für die beinahe 100 Tonnen schweren Behälter. Außerdem hätten die Hafenbehörden der Küstenstädte ebenfalls bereits bei den Vorgesprächen abgewunken, erklärte die NTL. Der Transport über Frankreich ist nur auf zwei Bahnstrecken möglich. Für den Schwerlastgüterverkehr ist neben der Strecke über Apach nur noch eine weitere zugelassen, die nahe Saarbrücken die deutsch-französische Grenze kreuzt.

Der Sprecher der BI Lüchow- Dannenberg bezweifelte gestern, daß die zum Gorlebener Zwischenlager führenden Bahnlinien für die schweren Güterwagen mit den Atommüllbehältern geeignet sind. Allein die sechs leeren Behälter, die Anfang März nach Gorleben rollen sollen, wiegen zusammen 640 Tonnen. Politiker, vor allem Bündnisgrüne, forderten gestern ein Ende der Atomtransporte. Die Brennstäbe sollten in den AKW zwischengelagert werden. Wenn die dortigen Lager voll seien, müsse das AKW abgeschaltet werden.

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