: Weser-Röhre zwischen Wiesen und Marsch
■ Geplanter Tunnel macht nur Sinn als Teil einer neuen Küstenautobahn
Kleinensiel (taz) – Die gewaltigen Vogelschwärme auf den Wiesen hinter dem Weserdeich könnten noch in diesem Jahr von Baggern vertrieben werden. Denn südlich des Nordseehafens Nordenham soll beim Örtchen Kleinensiel die westliche Einfahrt für den Wesertunnel nach Dedesdorf auf der Ostseite gebuddelt werden. Mehr als eine Milliarde Mark will der Bund inklusive der Kosten für die private Vorfinanzierung verbauen, um bis 2003 die Landkreise Wesermarsch und Cuxhaven mit zwei 1,6 Kilometer langen Straßenröhren zu verbinden.
Bündnisgrüne, Umweltschutzverbände und Landwirte machen sich jedoch Hoffnungen, den Tunnel doch noch zu verhindern. Auf dem Klagewege wollen sie den Baubeginn so lange verzögern, bis der Tunnel in Bonn politisch zu Fall gebracht wird. „Projekte, die strittig sind, haben die größten Chancen, gekippt zu werden, weil dem Bundesverkehrsminister das Geld ausgeht“, ist die verkehrspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Gila Altmann, überzeugt.
Die Kritiker bezweifeln schlicht den Bedarf für das Milliardending in der Marsch. Altmann verlangt deshalb, die Kosten-Nutzen-Analyse auf der Grundlage aktueller Daten neu zu berechnen. Das Tunnelprojekt sei „in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans hineinmanipuliert“ worden. Denn ursprünglich hatte eine Analyse eine vernichtende Wirtschaftlichkeit von 1,0 erbracht: Für jede investierte Mark flösse nur eine Mark zurück. Erst auf massiven Druck der Wirtschaft sei die Kennzahl 1992 auf hinreichende 3,8 hochgerechnet worden.
Unternehmen und Landesregierung erhoffen sich vom verkehrlichen Zusammenwachsen der bisher von der Unterweser zerschnittenen Region Wachstumsimpulse. 20.000 Fahrzeuge könnten täglich passieren, die zwei Flugzeugwerke der Daimler-Benz Aerospace westlich der Weser seien besser angebunden. Die vielen Arbeitslosen hätten leichter die Möglichkeit, in Nachbarregionen Arbeit zu finden, lauten die Argumente.
Nur etwas mehr als 5.000 Autos schippern heute pro Tag die drei Fährlinien über den Fluß, halten die Kritiker dagegen. „Weder in Ost-West- noch in Süd-Nord-Richtung bestehe ein verkehrlicher Bedarf“, hat auch der Bundesrechnungshof festgestellt. Darum vermuten viele Menschen in der Wesermarsch, daß es bei der Investition Wesertunnel um mehr geht als um Schützenhilfe für ihre strukturschwache Gegend. „Der Tunnel macht nur als Teil einer Küstenautobahn Sinn“, sagt Gila Altmann. Die Verbindung passe in die Strategie des Aufbaus „transeuropäischer Fernstraßennetze, in diesem Fall zwischen Skandinavien und den Niederlanden. Die deutschen Nordsee-Häfen betrachten den Tunnel mit Skepsis, weil er die Strategie Rotterdams begünstigt, Europas „Main-Port“ zu werden.
Die Hoffnungen für die Klagen der Naturschützer ruhen dabei auf EU-Recht. Denn als Deponie für den ausgebuddelten Sand haben die Planer zwei Sandbänke in der Weser ausersehen. Doch die erfüllen nach Angaben von Umweltschützern als Vogelbrutgebiete die Anforderungen eines besonderen Schutzgebietes. Deshalb müßten die Flächen nach EU-Recht planerisch für den Naturschutz gesichert werden. „Das ist die Achillesferse des Verfahrens“, sind die Kläger überzeugt. Joachim Fahrun
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