Hoffen und Bangen im Kirchenschiff

■ Hungerstreik von Kurden in Dortmunder Kirche. Evangelische Kirche: Flüchtlingen muß Asyl gewährt werden

Dortmund (taz) – Bleiche Gesichter, tiefe Schatten unter den Augen, die Spuren des nun schon 12 Tage währenden Hungerstreiks sind nicht zu übersehen. „Ein bißchen erschöpft“ sei er schon, sagt Ibrahim Kerem, aber er will durchhalten, „bis auf die Abschiebung verzichtet wird“. Zusammen mit etwa 40 weiteren von Abschiebung bedrohten Frauen und Männern aus den kurdischen Notstandsprovinzen in der Türkei hofft Kerem auf ein Einlenken der Behörden. Bis dahin dient das Matratzenlager im Kirchenschiff der mitten im Zentrum von Dortmund gelegenen St.-Petri-Kirche weiter als Schlaf- und Wohnstätte.

„Wir sind nicht gerade fröhlich darüber, daß wir hier instrumentalisiert worden sind“, sagt Dieter Kock, der für die St.-Petri-Kirche zuständige Superintendent der Evangelischen Kirche, „aber ich decke voll die Entscheidung, die Menschen in der Kirche zu dulden“. Zusammen mit der Gemeindepfarrerin Susanne Degenhardt und weiteren Dortmunder Kirchenleuten fordert Superintendent Kock einen „sofortigen Abschiebestopp“. Die Flüchtlinge seien in der Türkei „massiven politischen Verfolgungen ausgesetzt und an Leib und Leben bedroht“.

Schon am 15. Februar läuft die Duldungsfrist für die zehnköpfige Familie Serin ab. 1993 war die Familie nach Deutschland geflohen. Doch der Antrag auf Asyl endete für Mehmet Serin mit einer juristischen Niederlage. Fliehen mußte die Familie, weil der Vater dem türkischen Militär nicht länger als sogenannter „Dorfschützer“ dienen wollte. Wenige Tage nach dieser Weigerung wurde ihr Haus überfallen, und Serins jüngste Frau, seine Mutter und vier seiner Kinder wurden getötet. Während die 11. Kammer des Arnsberger Verwaltungsgerichtes in dem Asylverfahren des Schwagers von Mehmet Serin zu dem Schluß kam, „daß türkische Sicherheitskräfte diesen Überfall ... verübt haben“ und dem Schwager Asyl gewährten, urteilten die Verwaltungsrichter der 8. Arnsberger Kammer in Serins eigenem Verfahren genau gegenteilig. Eine politische Verfolgung „aufgrund der Niederlegung des Dorfschützeramtes“ mochte das Gericht nicht erkennen.

Als einen ersten Erfolg des Hungerstreiks verbucht der vom Dortmunder Flüchtlingsrat und vielen Initiativen getragene „Unterstützerkreis“ eine Entscheidung des Gelsenkirchener Verwaltungsgerichts im Falle des ebenfalls von unmittelbarer Abschiebung bedrohten Kurden Veysi Yildrim und dessen Familie. Nach dem in der letzten Woche ergangenen Urteil darf die Familie vorerst weiter in Deutschalnd bleiben. Zumindest solange, bis klar ist, ob ein neues Asylverfahren zugelassen wird.

Während andere Mitglieder der Familie Yildrim wegen der drohenden politischen Verfolgung in der Türkei als Asylberechtigte anerkannt wurden, sollte auch Neseta Alma, eine Cousine von V. Yildrim, nach der rechtskräftigen Ablehnung ihres Asylantrages schon Ende Januar abgeschoben werden. Die Mitarbeiterin des der kurdischen Arbeiterpartei PKK nahestehenden kurdischen Fernsehsenders Med-TV hält sich inzwischen versteckt.

Pfarrerin Degenhardt hofft nun auf eine „baldige Lösung“. Die Situation sei „schwierig“, weil die Kerngemeinde sehr „verschreckt“ auf den Hungerstreik reagiert und sich „zurückgezogen“ habe. Doch das Presbyterium der St.-Petri-Kirche ließ die Hungerstreikenden nicht im Stich. Kirche als Schutzraum für Fremde und Flüchtlinge, an diese biblische Tradition knüpfen die engagierten Dortmunder Christen an. Angesichts der Not und der Ängste der kurdischen Flüchtlinge „nehmen wir diese Rolle an“, sagt Pastorin Degenhardt, auch „wenn die Unterstützung in der gesamten Gemeinde nicht besonders groß ist“. Manche sahen sich durch das Verhalten der Pfarrerin zwar in ihrem Glauben an die Kirche bestärkt, doch viele meldeten sich auch – zumeist anonym – mit „geballter Aggression“ im Pfarrhaus zu Wort. Walter Jakobs