: Goldmann, Hickel und Hummel
■ Ein eloquentes Trio machte Kulturpolitik zur Konsensdebatte
Wie kreativ ist unsere heimische Soziokultur. Zum Beispiel! Der Riesentisch da halb auf, halb vor der Bühne der Schlachthof-Kesselhalle. Dazu der kleine Bruder-Tisch, geschickt in die unteren Ausläufer des Tribünengebirges gezahnt. Das Ganze eine Installation von hohem metaphorischen wie bildnerischen Wert, geschaffen für eine Veranstaltungsreihe namens „Tribüne“, deren Folge soundso am Dienstag abend zum Thema Kulturpolitik zu erleben war. Womit das Loben schon ein Ende hat, und der Tadel beginnt. Denn wie wortreich ist die Szene, wenn sie über Kultur zu reden anfängt.
Die Gründung der Regionalgruppe Bremen-Niedersachsen/Nordwest der seit zwei Jahrzehnten bestehenden „Kulturpolitischen Gesellschaft“ (siehe unten) nahmen die „Tribünen“-OrganisatorInnen zum Anlaß, die Vizepräsidentin der Gesellschaft, Margarethe Goldmann, und ihren Vorgänger Siegfried Hummel am Abend gleich dazubehalten. Und um dem auswärtigen ExpertInnenwissen – Goldmann war Kulturdezernentin in Wiesbaden und Hummel ist amtierender Kulturreferent in München – noch etwas Lokalkolorit beizumengen, bat man auch den Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel auf's Podium.
Als Diskussion (!) über Alternativen in der Kulturpolitik war's angekündigt, als Konsensdebatte ging's über die Bühne. Weil in der Szene allen Ernstes geglaubt wird, daß sich ein Andersdenkender unter die ungezählten hundert ZuhörerInnen hätte mischen und überzeugen lassen können, wird an dieser Stelle geraffert, was zu raffern ist.
Für die Kultur und ihre Förderung spricht nach Auffassung der Diskutanden viel. Weil sich die Innenstädte durch Filialisten einander immer gleicher werden, können sie nur noch durch die Kultur ihre Unverwechselbarkeit behaupten, wußte Goldmann. Kultur und Bildung seien keine konsumptiven Ausgaben, sondern „wichtige Bestandteile des gesellschaftlichen Humankapitals“, dozierte Hickel. Hummel zitierte: „Gerade weil es uns so schlecht geht, müssen wir jeden Kupfer für Bildung und Kultur ausgeben.“ Der erste Außenminister der Weimarer Republik, Walter Rathenau, habe das gesagt, und zwar schon 1919. Ja, ohnehin „ist Kulturpolitik die beste Sozialpolitik überhaupt“.
Da insistierte Margarethe Goldmann: „Das ist schon ein Verzweiflungsargument.“ Um sich selbst und ihren Münchener Kollegen immerhin zu zwei Stilblüten herauszufordern. Denn zur Begründung, warum in der Kultur überhaupt gespart wird, obwohl sich das längst als völlig wirkungslos und unsinnig erwiesen habe, wußten sie: „Die Kultur ist die Konkurrenz zur Politik, weil sie sich nie in ein Schema pressen läßt.“ Und: „Der gequälte Aufschrei der Kulturszene ist den Politikern ein Zeichen dafür, daß man beim Sparen Gerechtigkeit übt.“
Wow! Sowas ist Analyse. Derweil all die anderen guten, alten Argumente auf der Tribüne und andernorts gnadenlos hinterher und mitten in die Depression humpeln. „Wir müssen“, so Goldmann, „wieder ganz von vorne anfangen.“ Doch woher die Leute nehmen? In den Kommunen des ganzen Rhein-Ruhr-Gebiets gäbe es nur noch einen Dezernenten, der ausschließlich für Kultur zuständig sei. Rudolf Hickels populistische Kanonade gegen sämtliche aus dem Investitionssonderprogramm (ISP) finanzierte Projekte und sein Rat „Ihr müßt euch in die Investitionsprogramme einmischen“ humpelte mit. Denn nicht das gescholtene Bremer Wirtschaftsressort, sondern die TheaterexpertInnen aus der Kulturbehörde haben unlängst höchstselbst vorgeschlagen, die gesamten Mittel für freie Tanz- und Theaterprojekte zu streichen.
Christoph Köster
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