: Krebs contra Wiese
■ Baggern in der Außenweser zerstört Meeresboden. Über Ausgleich an Land feilschen Wasserbauer und Naturschützer
Feilschen ohne sachlichen Hintergrund ist Wilfried Rodiek ein Greuel. Und genau das sieht der Chef des Wasser- und Schiffahrts-amtes (WSA) Bremerhaven auf sich zukommen, wenn es mit Naturschutzbehörden und Umweltverbänden um den Ausgleich und Ersatz für die Umweltschäden bei der Vertiefung der Außenweser geht. In sechs Wochen müssen die Einwände gegen das Projekt vorliegen. Bis Anfang Mai wird die Planung mit den Naturschützern erörtert. Dann, so fürchtet Rodiek, gehe es zu wie auf einem Basar.
Dabei erkennt Rodiek durchaus die erheblichen Eingriffe an, die die Baggerei an der 65 Kilometer langen Fahrrinne vom Containerterminal Bremerhaven bis zur Weser-Ansteuerung nördlich von Langeoog auf 14 Meter unter Seekartennull bedeutet. Nicht einsehen will er allerdings, warum die Naturschützer im Planfeststellungsbeschluß für die Zerstörung des Meeresbodens eine Ausgleichsfläche einfordern, die natürlich größer ist als die angebotenen 55 Hektar. Denn wissenschaftlich ist das nicht zu begründen: Der Meeresboden habe nichts mit Nebengewässern auf Weser-Sandbänken oder naturnahen Vordeich-Wiesen zu tun. Wie könne man da also eine bestimmte Fläche als Ersatz verlangen, fragt Rodiek. Die Streitfrage wird in der Bremer Umweltbehörde bestätigt. Das Ausgleichs-Angebot sei noch zu gering, heißt es. Hintergrund der Differenzen sind unterschiedliche Meinungen zwischen Wasserbauern und Naturschützern darüber, für welchen Zeitraum Krebse und Muscheln durch die Baggerei aus ihrem Lebensraum verdrängt werden. Während die Wasserbauer eine baldige Wiederbesiedlung der toten Flächen erwarten, befürchten die Ökologen Schäden, die nicht binnen zweier Jahre geheilt sein dürften.
Doch ein wissenschaftlich umstrittenes Thema wie den Ausgleich von Meeresboden gegen Feuchtwiesen an Land als Faustpfand für die Verhandlungen zu nutzen, hält Rodiek für bedenklich. Dabei seien in den Gesamtkosten für den Weser-Ausbau von 92 Millionen Mark schon 20 Millionen für Ausgleichsmaßnahmen enthalten, rechnet Rodiek vor. Und erstmals werde bei deutschen Flußvertiefungen überhaupt Ausgleich für zerbaggerten Meeresboden an Land geleistet.
Doch die federführende Wasser- und Schiffahrtsdirektion des Bundes, Rodieks Dienstherrin, kann nicht riskieren, die Belange des Naturschutzes nicht ernst genug zu nehmen. Schon im September –95 hatten Naturschützer durchgesetzt, die Auswirkungen der Baggerei auch auf die Nebenflüsse bis zur Tiedegrenze zu untersuchen und damit dem Projekt eine einjährige Verzögerung beschert. Ein sechsstellig dotierter Auftrag ging an das Bremer Ingenieurbüro GFL. Die Gutachter schwärmten aus, durchstreiften im vergangenen Sommer die Auen von Geeste, Wümme, Hunte, Hamme und Lesum.
Was sie dabei herausfanden, damit kann Ingenieur Rodiek durchaus leben. Denn die zugebilligten mehr als zehn Hektar Ausgleichsflächen lassen sich quasi technisch begründen: Wenn das Hochwasser wie vorhergesagt um zwei Zentimeter steigt und das Niedrigwasser um fünf Zentimter fällt, hat das berechenbare Auswirkungen.
Bei einer Uferneigung von etwa 1:4 werden soundsoviele Hektar Fläche beeinträchtigt, die anderswo als Ausgleich wiederhergestellt wrden muß. Gleichzeitig schrumpft bei geringerem Wasserstand der Lebensraum für Fische. Auch hier läßt sich durch Abflachen der Ufer und Ruhezonen in den Flußbiegungen Ausgleich schaffen.
So ist es nachvollziehbar, daß sich das WSA am Ersatz eines alten Wehrs an der Wümme durch eine Suhlgleite beteiligt, eine abgeflachte Staumauer, die Fische überwinden können.
Wie auch immer: Letzten Endes, argwöhnt Rodiek, setzten die Umweltschützer ihre Forderungen nach Naturschutz stets absolut und damit über das Projektziel. Doch Hamburg hat die Elbvertiefung durchgesetzt, da kann man sich beim Ausbau der Außenweser keine weitere Verzögerung riskieren. Hafenwirtschaft und Politik sitzen den Wasserbauern im Nacken. Daher haben die Naturschutzbehörden letztlich in den Verhandlungen gute Karten, ihre Ansprüche hochzuschrauben.
Joachim Fahrun
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen