: Hochzeit im Rathauscasino
■ Wer schon immer mal ein Rathaus mieten wollte, kann das seit dieser Woche tun. Zum Auffüllen der leeren Kassen werden auch BVV- und Plenarsäle vermarktet
Coca-Cola-Leuchtreklame auf dem Dach des Rathauses Kreuzberg oder H&M-Dessous vor dem Dienstfenster der Frauenbeauftragten – geht es um die Vermarktung der Rathäuser, sind Phantasie und schlechtem Geschmack künftig keine Grenzen mehr gesetzt. Seit Montag gilt: Werbung frei für die 23 Rathäuser zwischen Spandau und Köpenick.
Kommerzielle Werbung kommt für den bündnisgrünen Bürgermeister von Kreuzberg, Franz Schulz, dennoch nicht an die Fassade. „Wir sind schließlich neutral“, betont er. Schulz wirbt mit dem eigenen Produkt: „Rathaus for rent“ heißt das und kostet 486,75 Mark für das Casino (vier Stunden), bis zu 1.186 Mark für das Prunkstück, den Raum 3083, ganztägig versteht sich. Das Pfund, mit dem der grüne Schultes wuchern kann, ist der Panoramablick über die Dächer Kreuzbergs, entsprechend romantisch ist auch die Vorstellung von künftigen Rathausmietern. Schulz: „Warum sollen nicht Hochzeitsgesellschaften das Casino mieten?“
Die First Lady von Schöneberg, Elisabeth Ziemer, die das Rathausmarketing seit 1995 als Pilotversuch betreibt, geht mit Willy Brandt und Ernst Reuter auf Werbetour, die sich in ihrem Rathaus einst die Klinke in die Hand gaben. „Das Rathaus“, jubiliert sie, „ist weit über die Grenzen des Bezirks hinaus bekannt.“ Entsprechend teuer ist die Miete. Wer den ehemaligen Plenarsaal des Abgeordnetenhauses mieten möchte, muß 5.100 Mark zahlen. Wie ihr Kreuzberger Kollege legt auch Ziemer weiterhin Wert auf kostengünstige oder kostenlose Raumvergabe an gemeinnützige Gruppen.
Ein Herz fürs Soziale hat auch Reinhard Kraetzer, oberster Bürger von Prenzlauer Berg. „Der BVV-Saal“, verspricht er, obwohl keine Wahlen anstehen, „steht den Friseurlehrlingen fürs Schaufrisieren auch weiterhin kostenlos zur Verfügung.“ Ansonsten verhandle der Bezirk gerade darüber, das Gelände an der Fröbelstraße fürs Wochenende an einen Flohmarktbetreiber zu vermieten. Dabei tut freilich Eile not, schließlich sprudelt die unvorhergesehene Einnahmequelle nur bis 1999. Dann soll bekanntlich die Zahl der Rathäuser und damit auch die kommunale Werbefläche halbiert werden. So marktfeindlich kann Bezirksreform sein. Uwe Rada
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