■ Filmstarts á la carte: Krimi und Demokratie
Leicht läßt sich erklären, weshalb sich Strafprozesse beim Publikum so großer Beliebtheit erfreuen: Liebe, Haß, Eifersucht, Gier und Mord – das ganze Spektrum menschlicher Leidenschaften breitet sich wie bei einer spannenden Theatervorstellung vor dem Betrachter aus. Reden und Gegenreden werden gehalten, Indizien gedreht und gewendet, schnell gerät das Duell von Staatsanwalt und Staranwalt zum Jahrmarkt der Eitelkeiten. In den USA erfreuen sich die Live- Übertragungen von spektakulären Gerichtsverhandlungen bereits größter Beliebtheit, wie das Beispiel O.J. Simpson erst kürzlich wieder zeigte. Und alle fiebern und rätseln mit: War er's oder war er's nicht? Da wäre nichts langweiliger als ein geständiger oder auf frischer Tat ertappter Delinquent. Das dramatische Potential der Indizienprozesse haben natürlich auch die Filmemacher erkannt, längst ist der Gerichtsfilm zum eigenständigen Subgenre des Krimifalfilms avanciert. Zwei sehr unterschiedliche Gerichtsfilme zeigt das Filmmuseum Potsdam in der kommenden Woche: Billy Wilder macht in „Zeugin der Anklage“ den Gerichtssaal zum Schauplatz einer absurden Schmierenkomödie. Nichts ist so, wie es scheint: Der Angeklagte ist nicht so unschuldig, wie er tut, seine Gattin nicht so herzlos, wie sie zu sein vorgibt und der Strafverteidiger keineswegs so brillant, wie er glaubt. Am Ende sind alle düpiert, jeder hat jeden betrogen. Was in anderen Gerichtsfilmen oft nur elliptisch erzählt wird, steht in Sidney Lumets „Twelve Angry Men“ im Mittelpunkt: die Beratung der „Zwölf Geschworenen“. Und obwohl auch hier ein Kriminalfall gelöst wird (oder besser: die Unschuld des Angeklagten erwiesen wird), steht der Aspekt der Detektion eher im Hintergrund des Dramas. Statt dessen zeigt Lumet die Beratung als Beispiel für die Funktionstüchtigkeit der Demokratie in Amerika: Exemplarisch werden Menschen verschiedener Gesellschaftsschichten und unterschiedlichen geistigen Niveaus vorgeführt, die allen Vorurteilen zum Trotz schließlich den richtigen Urteilsspruch fällen. Das verdanken sie allerdings nicht zuletzt Henry Fonda, dem guten Gewissen des amerikanischen Kinos, der in seiner sanften Beharrlichkeit einfach großartig ist.
Unter den großen Stummfilmkomikern erscheint uns Buster Keaton heute als der modernste. Seine Filme leben von der Bewegung, sein Gespür für Rhythmus und Fluß der Szenen wirkt noch immer genial. Der Film „Der Kameramann“ (Regie: Edward Sedgwick) markierte für Keaton eine Phase des Umbruchs: Ein letztes Mal noch hatte er eine gewisse Kontrolle über die Produktion. Gerade war sein Vertrag an MGM verkauft worden; dort bewies man für seine Art der Komik keine Sensibilität und verheizte ihn schließlich in albernen Burlesken. So geriet „Der Kameramann“ zu einem letzten Glanzpunkt seiner Karriere.
Die von ihm gespielte Figur bleibt unverwechselbar – stets geht er alle Probleme mit dem gleichen naiven Ernst an, der in den haarsträubenden Situationen, in die er gerät, immer so unangemessen erscheint. Unnachahmlich auch die Fähigkeit, alle Katastrophen und Mißgeschicke in Blitzesschnelle zu seinen Gunsten zu wenden.
Lars Penning
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